Vortrag: „Juden in Höringhausen“, 18. April 1999

Rekonstruktionszeichnung
Zeichnung der ehemaligen Synagoge von Thea Altaras; Dicker Strich: Bestand bis 1988, jetzt abgerissen

Juden in Höringhausen
von Anneliese Laartz (unveröffentlichtes Vortragsmanuskript)
11.02.1998/18.04.1999

Höringhausen -als Enklave im Fürstentum Waldeck- bot Juden schon um das Jahr 1700 die Möglichkeit, hier zu leben, ja sogar Haus und Grundstück zu erwerben.

Ich muß sagen, daß mich die Geschichte der Juden schon als Kind interessiert hat. Aber durch persönliche Begegnungen und besondere Ereignisse habe ich begonnen, hier im Ort zu schauen und mich zu informieren. So nenne ich mein heutiges Referat „Spurensuche" und gliedere es in 3 Abschnitte:

I. Häuser, in denen bis in die 30-er Jahre Juden gewohnt haben.
II. Die Synagoge und Schule
Schule
III. Der Friedhof
Schlussbemerkung

Fortsetzung

I. Häuser

Meine Mutter hatte als Schulkameradinnen zwei jüdische Mädchen: Gerti Kohlhagen und Hannah Rosengarten. Von denen, erzählte sie oft und in den 50-er Jahren, kam letztere 2 mal zu Besuch hier ins Dorf. Sie war verheiratet, lebte in Panama und brachte auch eine Tochter mit. Sie besuchte auch unsere Familie, und die Frauen hatten sich viel zu erzählen, zwischenzeitlich ist die Dame gestorben.

Die Familie Rosengarten hatte ein Haus, das stand dort, wo heute der Edeka-Laden Müller ist. Es war ein Fachwerkbau mit einer Laube vor dem Haus. Der wilde Wein verdeckte den desolaten Zustand des Gebäudes, der nur im Winter zu sehen war.

Dann kam vor mehreren Jahren Frau Miriam Brasloff. Sie besuchte Frau Böhme und wollte sehen, wo ihre Vorfahren gelebt hatten. Sie war, wie sich herausstellte, die Enkeltochter von Schafti Adler. Da weder Frau Böhme noch ich ihr befriedigende Auskunft geben konnten, packte ich die Dame kurz entschlossen ins Auto und brachte sie zu meinen Eltern Die Anspannung war zunächst auf beiden Seiten sehr groß. Erst als mein Vater sagte: „Sie sind also eine Verwandte von Herrn Adler, ich habe ihn gekannt. Was möchten sie denn wissen?", da war das Eis gebrochen. Ich überließ die drei Menschen (meine Eltern und Frau Brasloff) ihren Gesprächen und eine halbe Stunde später waren alle froh und zufrieden. Die Fragen von Frau B. waren weitestgehend beantwortet. Sie konnte nun das, was sie gehört hatte, an ihren Sohn weitergeben. Er lebt in den Staaten.

Das Haus von Schafti A d l e r steht in der Berghöfer Straße und gehört heute Herrn Karl-Heinz Pfeiffer. Die Scheune ist leider abgerissen. Dabei sind, wie ich erst jetzt erfuhr, mit einer Kiste auch wertvolle Aufzeichnungen der Juden verloren gegangen.

Die Familie Adler hatte einen Handel mit Blech- und Altwaren. Sie besaß Ländereien auf der Beiwitz (Piwitz), auf dem Krautgarten und auch Wald an der Straße nach Nieder-Waroldern. Die Flurbezeichnung „Adlers Alpen" weist heute noch darauf hin.

Angehörige der Familie nahmen am 1. Weltkrieg teil. Zwei Männer sind gefallen. Ihre Namen sind am Ehrenmal zu lesen. Sie wurden nicht, wie in einem Buch zu lesen, während der Nazizeit entfernt.

Familienmitglieder wanderten über Holland nach England und Südamerika aus. Eine Verwandte der Familie A d l e r wohnte im Haus Hans Siebert. Sie hieß Rickchen Gumpert.

Im Haus der Familie Heinrich Krumme! in der Alrafter Straße, lebte der reiche Fellhändler Hermann Katzenstein. Außer mit Fellen handelte er mit Leder und Schuhen und er betätigte sich als Makler. Er verkaufte u. a. Schwagers Hof. Hermann Katzenstein hatte zwei Töchter, Irma und Malla. Eine heiratete den Textilkaufmann Markof, der im heutigen Haus Manhenke in Korbach seine Waren verkaufte. Die andere heiratete den Seifenfabrikanten Wolf aus Schlüchtern. Diese Seifenfabrik wurde von Herrn Henlein übernommen und später als Seifenfabrik Dreiturm weitergeführt.

Wolf und seine Familie lebten in Israel und betrieben dort Landwirtschaft. Sie verzichteten darauf, ihre Firma in Schlüchtern zurück zu nehmen, obwohl die Möglichkeit dazu bestand. Sie sorgten aber dafür, daß Frau Luise Krummel das Haus in der Alrafter Straße nicht ein zweites Mal kaufen mußte, was bei allen anderen Judenhäusern im Ort der Fall war.

Hermann Katzenstein wurde angeblich im Februar 1936 schwer mißhandelt und zusammengeschlagen. Man lauerte ihm auf, und der Täter ist wohl in einem der Nachbarorte zu suchen. Katzenstein starb am 12. Februar 1936 und ist der letzte Jude, der auf dem hiesigen Friedhof beigesetzt ist.

Benjamin Katzenstein hatte einen Kolonialwarenladen im heutigen Haus Ullrich in der Berghöfer Straße. Die Leute aus dem Dorf konnten bei ihm auch noch samstags abends einkaufen. Allerdings bediente er sie erst nach Sonnenuntergang wenn der Sabbat zu Ende war und er sein entsprechendes Gebet gesprochen hatte.

Karl Kohlhagen hatte ein jüdisches Gasthaus, wohl das einzige in ganz Waldeck. Heute lebt in dem Haus die Familie Franke, die das Gebäude in den letzten Jahren grundsaniert hat.

Ich erinnere mich, daß an dem verschieferten Giebel in weißer Schrift ganz groß zu lesen stand: Gasthaus Kohlhagen. Mit diesem Gasthaus hat es eine besondere Bewandtnis. Im Fürstentum Waldeck durften sich Juden nur vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang aufhalten. Da man sich damals nur mit den Füßen oder auch per Pferdewagen vorwärts bewegte, konnte niemand das Fürstentum an einem Tag durchqueren. Höringhausen lag in der Mitte, und so war es eine gute Sache für alle Juden, daß sie hier einkehren konnten. Die meisten verdienten ihren Lebensunterhalt ja als herumziehende Händler.

Im Haus der Frau Lange - früher Hasenschar- in der Hauptstraße, lebte Isaak Kohlhagen mit seiner Familie. Er betrieb ein Tuchwarengeschäft und verkaufte seine Dinge, indem er mit dem Rucksack herumzog. Er hatte drei Kinder, eine Tochter, Gerti, einen Sohn, Max und einen Sohn, Kurt. Die Familie war recht arm. Während des Sabbats oder an bestimmten Festtagen ging eine Nachbarin hin um beispielsweise das Feuer in Gang zu halten oder sonstige Dinge zu erledigen, die den Juden an solchen Tagen untersagt waren.

Isaak wurde während der Nazizeit abgeholt und, nachdem man ihn furchtbar mißhandelt hatte, nach Hause entlassen. Er sprach nicht über das, was man ihm angetan hatte. Er starb an den Folgen der Verletzungen im Jahr 1938. Seine Kinder waren da schon lange fort.

Wo heute das neue Haus Voigtländer steht, war früher ein Fachwerkhaus, das Menko Löwenstein gehörte. Er hatte auch einen Tuch- und Handarbeitsladen. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts mußten die Juden allgemein verständliche Namen annehmen. In einem Buch steht zu lesen, daß die Familie Baer sich ab diesem Zeitpunkt Löwenstern nannte. Angeblich, weil die Grenzsteine, die die Gemarkung Höringhausen umgeben, auf der einen Seite den hess. Löwen und auf der anderen Seite den Waldecker Stern zeigen, also Löwenstern. Dieser Familienname war bis zuletzt in Höringhausen vertreten.

Im Haus Pohlmann, in der Alrafter Straße lebte die Familie Süßel. Das Fachwerkhaus brannte in den fünfziger Jahren ab. Die Familie betrieb einen Spirituosenhandel. Ob sie auch Schnaps brannte, ist nicht erwiesen. Die Töchter des Ehepaares waren gut verheiratet, und die Eltern wollten wegziehen. Sie stellten ihre Habe, die sie nicht mitnehmen wollten und konnten, auf den Hof und gaben die Gegenstände meistbietend ab.

In der Berghöferstraße, im früheren Haus Julemann, lebte die Familie Lazarus. Schon im letzten Jahrhundert war sie sehr angesehen. Als das neue evangelische Pfarrhaus (1835 -1837) gebaut wurde, lebte die Pfarrersfamilie dort.

Markus Lazarus, ein Sohn, nahm am deutsch - franz. Krieg teil (1870/71). Er gründete in Höringhausen den Kriegerverein mit und stiftete auch die Fahne. Er war verheiratet, hatte aber keine Kinder. So vermachte er vor seinem Tode der jüdischen, der evangelisch und der politischen Gemeinde jeweils 9.000 Mark. Dieses Erbe war mit der Auflage verbunden, es nur für Arme, Kranke und sonstige wohltätige Zwecke zu verwenden. Als er 1907 starb, beschlossen die Mitglieder des Kriegervereins in einer Sitzung, daß der Verstorbene Markus Lazarus mit allen militärischen Ehren beigesetzt werden sollte. Sie bestellten 8 ihrer Mitglieder, die den Leichenzug begleiten und 6 ehemalige Krieger, die die Ehrensalve abfeuern sollten. Eine Kapeile des 167. Infantrieregimentes in Kassel wurde bestellt und der Tote von einer riesigen Trauergemeinde zu Grabe getragen.

Das Badehaus für Frauen, das sogenannte Plunkhäuschen, stand zwischen dem heutigen Grundstück Rohde und Mettenheimer in der Alrafter Straße. Die Grenze wurde erst beim Verkauf des Hauses Zimmermann an Familie Rohde endgültig festgelegt. Das Badehaus, oder auch „Mikwe" genannt, wurde für rituelle Tauchbäder benutzt. Vor der Eheschließung und jeden Monat mußten die Frauen ein Bad nehmen. Das Wasser mußte sich selbst sammeln, sprich: es mußte Quellwasser oder ggf. auch Regenwasser sein. Die Frau mußte untertauchen können.

Weitere Judenhäuser waren:
Das frühere Haus Fleschenberg. das z. Zt. vollständig umgebaut wird.
Das Haus Mettenheimer im Kübenbom und das Haus Rüssel - früher Schluckebier, Mützenmaker - gleich bei der Kirche. Die Gebäude wurden zu Beginn dieses Jahrhunderts verkauft und gehörten ursprünglich den Familien Pickhard.

Wie ich eingangs schon sagte, boten die hess. Landgrafen den Juden schon sehr früh Gelegenheit, sich hier im Ort anzusiedeln. So besaßen 1704 schon 2 Juden nachweislich eigene Häuser und auch Grundstücke. Der Landesherr erhob zwar Schutzgelder, aber 1730 haben 3 Juden das verbriefte Recht, Pfänder anzunehmen und dafür Geld auszuzahlen. 8 Tage mußten die Gegenstände bereit gehalten werden, dann durften sie veräußert und zu Geld gemacht werden.

Die Wölfe von Gudenberg, die Höringhausen zu Mannlehen hatten, erstellten 1749 einen Lehnsbrief, in dem die Abgaben genau aufgelistet waren. Das Judenschutzgeld betrug jährlich 3 Schilling, 22 Albus und 4 Heller. Außerdem mußten Naturalien in Form von 1 1/1 Pfund Zucker, einem Kalbsbraten zwischen 7 1/4 und 8 Pfund sowie alle Zungen der geschlachteten Rindviecher geliefert werden.

Das Begräbnisgeld bei Erwachsenen war auf 1 Schilling, 15 Albus festgelegt, bei Kindern waren 22 Albus zu entrichten. Über diese Zahlungen gibt es genaue Auflistungen. Die Hälfte der Einkünfte wurde nach Vöhl abgeführt, die andere verblieb hier im Ort beim Lehnsherrn. Entstandene Unkosten wurden natürlich vorher in Abzug gebracht.

Genaue Daten, sprich: Geburten, Eheschließungen, Todesfälle wurden erst ab 1875 beim Standesamt erfaßt.

Mitte des 18. Jahrhunderts setzte ein verstärkter Zuzug von Juden ein. Das Einzugsgeld war erhöht worden auf 16 Gulden, 15 Albus. 1783 gab es bereits 24 jüdische Familien im Ort.

Das Dorf war landwirtschaftlich strukturiert. Die 19 Ackerleute, 39 Kötter und eine geringe Zahl von Handwerkern versorgten sich mit dem, was Haus und Hof hergaben. Durch die Ansiedlung der Juden, die unter landesherrlichem Schutz ihren verschiedenen Handelsberufen nachgingen, war ein starker Händlerstamm entstanden. Sie kauften überschüssige Produkte der Bauern und versorgten sie mit fehlenden Gütern des täglichen Bedarfs.

Unter den 65 Gewerbetreibenden waren 33 Juden. Davon arbeitete einer als Schuhmacher, einer als Küfer und sieben als Metzger. Die Metzger übten ihre Tätigkeit auch in den umliegenden Orten aus, damit ihre Glaubensbrüder auch koscheres, sprich: ausgeblutetes Fleisch, verzehren konnten. Sie mußten für die Ausübung ihres Berufes eine besondere Steuer bezahlen, die sogenannt Schlacht-Accis. Da ihnen diese Abgabe zu hoch erschien, beschwerten sich alle Metzger gemeinsam beim Rentamt in Vöhl, und die Steuer wurde daraufhin gesenkt.

Das Zusammenleben der Bewohner des Ortes war unproblematisch und gut. Dieses änderte sich erst ab Ende der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts.

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II. Die Synagoge

Im Jahr 1987 erschien in der Reihe „Die blauen Bücher" eine Ausgabe: Synagogen in Hessen - Was geschah seit 1945? Hier sind die Orte aufgelistet, die früher Synagogen hatten, und man untersuchte, was mit diesen Gebäuden geschehen war. In diesem Buch steht u. a. auf Seite 67 und folgende, daß die Höringhäuser Kirche ursprünglich Synagoge gewesen sei und später als Kirche geweiht wurde. Das gleiche steht auch in dem Buch „Juden in Hessen". Diese Behauptung stimmt n i c h t.

Kurze Zeit später kam eine Frau aus Gießen. Sie schaute sich intensiv die Kirche an. Als man sie fragte was sie denn suche, gab sie zur Antwort: „Ich suche ein Zeichen dafür, daß diese Kirche früher eine Synagoge war, aber ich finde nichts." Sie bekam dann zur Antwort, daß sie auch nichts finden könne. Die Synagoge habe dort gestanden, wo heute die Raiffeisenkasse sei. Die Angaben in dem angeführten Buch seien schlicht falsch. - Bei der Frau handelte es sich um Frau Prof. Thea Altaras, der Herausgeberin des Buches.

Im Laufe der Zeit kamen ab und an Leute, deren Vorfahren in Höringhausen gelebt hatten. Auch sie fragten nach der Synagoge. Der damalige Kirchenvorstand sah sich daraufhin veranlaßt, einen Antrag an den Vorstand der Raiffeisenkasse zu stellen mit der Bitte, ein Schild anzubringen, woraus hervorgehen sollte, daß an der genannten Stelle früher die Synagoge gestanden habe.

Wie schwierig dieses Ansinnen war, ist kaum nachzuvollziehen. Immer wieder wurde eine Entscheidung verschoben. Eigentlich wollte niemand solch eine Tafel haben. Bevor der frühere Geschäftsführer, Martin Sohl, dann in den Ruhestand ging, war es so weit. Die Tafel wurde angefertigt, durfte aber nicht am Gebäude selbst, sondern an der Mauer zum Grundstück Dreier hin, angebracht werden.

Im Jahr 1856 gab es im Ort 26 jüdische Familien mit 152 Personen. Die Bewohner lebten in gesicherten, aber nicht eben reichen Verhältnissen.

Die alte Synagoge (1792 gebaut), war baufällig geworden. Sie stand auf dem heutigen Grundstück Sauer, Hauptstraße - Ecke Korbacher Straße.

In einem Brief vom 30.8.1841 vom Großherzoglichen Kreisrath zu Vöhl an den Vorstand der israelitischen Gemeinde in Höringhausen wird festgestellt, daß die alte Synagoge nicht mehr zu reparieren sei. Bevor aber Pläne gemacht würden, solle erforscht werden, „ob der erforderliche Fond zum Neubau durch Umlagen oder Kapitalaufnahmen erbracht werden soll und kann".

Im Jahr 1847 verpflichten sich die männlichen Juden von Höringhausen, je nach Einkommen eine Summe zu zeichnen, die sie in den nächsten Jahren für den Bau einer Synagoge spenden wollen. Ausdrücklich sind Junggesellen mit herangezogen und jeder zwischen 15 und 60 Jahren muß so hoch zeichnen, wie eben möglich. Es kommen 258 Gulden und 20 Albus pro Jahr zusammen.

Gleichzeitig beantragt der Vorstand die Genehmigung, bei Glaubensbrüdern in den Provinzen Oberhessen und Starkenburg Kollekten erheben zu dürfen. Die Gelder werden zunächst bei einer' Sparkasse hinterlegt. (In Vöhl gab es schon seit dem 18.6.1829 eine Spar- und Leihkasse, eine der ersten in Hessen.)

Der Briefwechsel zwischen dem Reg. Bez. Biedenkopf und der hiesigen Gemeinde ist sehr rege. Es heißt u. a., daß die Finanzierung 8 Tage offen gelegt werden muß. Das erinnerte mich doch an Gepflogenheiten, die auch heute gängige Praxis sind. Außerdem steht noch nicht fest, ob die Gelder innerhalb von 3 Jahren zusammen sind, oder ob ggf. doch ein Kredit aufgenommen werden dürfe.

Der Zeitraum der Spenden ist schon sehr lang, und offensichtlich sind 1856 einige im Verzug mit ihren Zahlungen. Aber es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Gelder notfalls auf dem Rechtsweg eingetrieben werden sollen.

Als die Gemeinde einen erneuten Antrag auf Kollekten bei Glaubensbrüdern stellt wird dieser zwar bewilligt, aber gleichzeitig angefragt: „ob sich bei diesem Bauwesen auf das notwendigste beschränkt worden ist und worauf es beruht, daß die Baukosten, die früher nur zu 3.000 Gulden angeschlagen waren, jetzt auf 5.000 Gulden, also viel höher berechnet werden".

Das Grundstück, auf dem die Synagoge errichtet wurde, gehörte der Familie Simon Freudenstein. Das Wohnhaus wurde 1852 abgerissen und im Jahr 1854 mit dem Neubau des Gotteshauses einschließlich Schule und Lehrerwohnung begonnen. Mit einem großen Fest fand die Einweihung statt.

In einem Brief des Großherzogl. hess. Rabbiners zu Gießen an den Vorstand der Israel. Religionsgemeinde in Höringhausen ist nachzulesen, wie die Feierlichkeiten ablaufen sollen. Dort heißt es unter anderem, daß Herr Levi, der Unterzeichner des Briefes, nach Korbach kommt und dort abgeholt werden möchte. Er beschreibt die Aufstellung des Festzuges, die Reihenfolge, die Schlüsselübergabe, schlägt Lieder vor und skizziert den Ablauf des Gottesdienstes. Gleichzeitig begrenzt er die Dauer der Festivität auf 2 1/2 Stunden. Er weißt auch darauf hin, daß Ordnungskommissäre angeheuert werden sollen. Er schließt mit der Hoffnung, daß die Synagoge mit Gottes Hilfe und zu seinem Lobe eingeweiht und geweiht werden könne.

Der sakrale Bau war aus rotem, behauenem Sandstein in rechteckig - gestreckten Grundriss auf niedrigem Sockel, mit Satteldach, die Giebelwände waren über die Dachfläche hochgezogen. Zur Straßenseite waren 5 Öffnungsachsen, wobei in der Mittelachse die zweiflügelige Haupteingangstür auf Sockelhöhe mit breitem Stufenzugang lag. Die Holzfenster waren sprossenunterteilt und hatten durchbrochene Bogenflächen. Zur Straße hin gab es eine Einfriedung (Staketenzaun).

Die Synagoge wurde bis 1937 als Gotteshaus benutzt, ging dann in den Besitz der Spar- und Darlehenskasse über und diente als Lagerraum.

Die Kultgegenstände der jüdische Gemeinde brachte man nach Kassel, wo sie 1938 vernichtet wurden.

Nach dem Krieg stellte man auf Anordnung der Militärregierung wieder den alten Zustand her. Es wohnten mehrere Flüchtlingsfamilien dort. Die Spar- und Darlehenskasse kaufte das Gebäude ein zweites Mal. In den fünfziger Jahren wurde das Haus rigoros umgebaut. Die Fenster- und Türöffnungen sind stark verändert und das Gebäude um volle 2 Fensterachsen verkürzt worden, damit war die Zufahrt zu den neu errichteten Lagerräumen hinter dem Haus möglich.

Schließlich wurde die Synagoge 1990 ganz abgerissen, und an gleicher Stelle das heutige Gebäude der Raiffeisenbank Freienhagen - Höringhausen (früher Spar- und Darlehenskasse) errichtet. Rechts an der Mauer, zum Haus Dreier hin, befindet sich die anfangs erwähnte Hinweistafel.

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Schule

Von 1869 an gab es in Höringhausen eine jüdische Elementarschule. Sie war zunächst Privatschule und hatte 1871 26 Schüler, 1873 waren es 23 Schüler. Ihr Lehrer hieß Benjamin Jaffa. 1886 wurde der Status, auf Antrag der jüdische Gemeinde, in ein eine „öffentl. israelitische Elementarschule" gewandelt. Daraufhin wurde diese Einrichtung, ebenso wie die christl. Schule, jährlich von der Bezirkskommission aus Vöhl visitiert.

Die Schülerzahlen gingen ständig zurück, und so besuchten bald alle Kinder die Dorfschule. Die jüdischen Kinder gingen nur noch zur religiösen Unterweisung in die Synagoge.Teilweise arbeiteten jüdische Lehrer in der Christl. Schule. In den Jahren 1909 -1912 waren gleich zwei angestellt: Herr Stern und Herr Oppenheimer.

An sich war die Zusammenarbeit im Ort gut zwischen Juden und Christen. Einige Israeliten arbeiteten im Gemeinderat mit. Sie gehörten mit zu den Vereinen und brachten sich auch sonst auf vielfältige Art ein. Natürlich wurde dieses Miteinander in den dreißiger Jahren empfindlich gestört.

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III. Der Friedhof

In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in der Gemarkung Höringhausen ein jüdischer Friedhof angelegt. Wir finden ihn am Komberg, etwa 100 m von der Bahnlinie entfernt. Hinter dem Viadukt geht rechts ein Feldweg ab, und der Friedhof liegt etwas abseits mitten zwischen landwirtschaftlich genutzten Flächen. Er ist zwischenzeitlich eingezäunt. Das Tor ist abgeschlossen.

Die Gemeinde Waldeck hat die Pflege übernommen. Die Kosten werdet erstattet. (Das Geld kommt vom RP, fließt aber wohl aus einem anderen Topf.)

Die Grabsteine stehen nicht mehr an den ursprünglichen Stellen, sie sind umgekippt, einige zerbrochen. Etliche sind in falscher Richtung wieder aufgestellt worden. Die Inschriften sind z. T. sehr stark verwittert.

Die letzte Belegung war 1936. An einem der Grabsteine ist ein Hinweis eingraviert, daß Alfred Rosengarten, geb. am 28.2.1906, im KZ Buchenwald umgekommen ist.

Als Kind war ich oft auf diesem Friedhof, da meine Tante ganz in der Nähe ein kleines Grundstück hatte. Für mich ging immer eine Faszination von diesem Ort aus. Damals standen die Grabsteine, wie schon gesagt, noch etwas anders, und es waren noch mehr Einfassungen zu sehen. Was ich zunächst nicht verstand, waren die Steine, die ab und an auf einem Grabstein zu finden waren. Später begriff ich, daß Angehörige oder Freunde der Verstorbenen damit dokumentierten, ich war da, ich denke noch an dich. - Blumenschmuck ist den Juden eher fremd.

Damals war der Friedhof noch nicht eingefriedet. Es waren noch Reste einer früher vorhandenen Hecke und die Pfosten des Eingangstores zusehen. Das Tor war kaputt.

Im Laufe der Jahre kamen ab und an Angehörige der ehemaligen jüdische Einwohner, und einer war ganz entsetzt, als Schafe an diesem heiligen Ort grasten. Er beschwerte sich, und so wurde der Zaun gebaut.

Ein Grab ist für einen Juden eine heilige Stätte, die für alle Zeiten bestehen bleibt. Er würde auch nie einer Feuerbestattung zustimmen, auch wenn dieses die übliche Praxis in dem entsprechenden Land sein sollte. Hier sind Worte der Bibel „aus Staub bist du geworden und zu Staub sollst du werden" für jeden Juden bindend.

Das Leben der Juden lief in strenger Ordnung ab. Alles war genauestens geordnet und geregelt und wurde schriftlich festgelegt.

So gab es u. a. eine „Mosaisch - religiöse Begräbnisordnung".

Lt. Schreiben vom 26.3.1844 wurde die Einführung einer Begräbnisordnung in allen Israel. Gemeinden der Provinz Oberhessen angestrebt. Jeder Vorstand einer Gemeinde wurde angeschrieben und gebeten, zu dem beiliegenden Entwurf Stellung zu nehmen und sich innerhalb von 14 Tagen zu äußern.

Die Begräbnisordnung umfaßt 30 Artikel und beschreibt genau den Ablauf der Formalitäten. Sie beginnt mit den rituellen Abläufen im Privatbereich jeder Familie, dem Melden des Todesfalles und weißt darauf hin, daß alle „medizinisch - polizeilichen Verordnungen" strikt einzuhalten sind. Auch die Anfertigung eines Sarges und das Ausheben des Grabes sind festgeschrieben. Ist kein Familienangehöriger da, so muß der Vorstand der israelitischen Gemeinde all diese Aufgaben wahr nehmen.

Nach Möglichkeit soll ein Leichenwagen angeschafft werden. Acht Gemeindeglieder sollen mindestens dem Leichenwagen folgen. Muß die Leiche getragen werden, so sind doppelt so viele Menschen erforderlich, da beim Tragen gewechselt werden muß. Alle, die sich dem Leichenzug anschließen wollen, versammeln sich vor dem Haus des Verstorbenen und begleiten die Bahre, bzw. den Wagen bis zum Friedhof und bleiben dort, bis der Leichnam der Erde übergeben ist und die Gebete verrichtet sind. Jeder männliche Jude zwischen dem 15. und 60. Lebensjahr ist verpflichtet, diesen Dienst auszuüben. Sollte er verhindert sein, kann er sich vertreten lassen. Er wird jedoch niemals aus dieser Pflicht entlassen.

Wichtig ist in Artikel 13, daß alle Leichenträger und -begleiter anständig, wenn es geht, in schwarz gekleidet sein sollen und eine Kopfbedeckung, sprich Hut, tragen.

Die Reihenfolge des Leichenzuges (Conductes) ist folgende: 1. Leichenwagen, 2. Rabbiner, Vorsänger oder Lehrer und Gemeindevorsteher, 3. übrige Gemeinde. Menschen die krank sind oder aus Armut keine angemessene Kleidung besitzen sind von diesen Pflichten entbunden.

Es ist vorgesehen, daß mehrere. Gemeinden gemeinschaftlich einen Friedhof betreiben. Auch hierfür sind genaue Regularien vorgesehen.

Das laute Ausrufen von Leichenbegängnissen ist untersagt. Es darf nur von Haus zu Haus eingeladen werden. Die Kollekten sind vor dem Trauerhaus oder auf dem Friedhof einzusammeln, aber nicht während des Zuges.

Der Sohn des Verstorbenen spricht das Kaddisch und die übrigen Gebete der Vorsänger oder Lehrer laut, die anderen Teilnehmer murmeln nur mit. Will jemand eine Grabrede halten, so ist die offizielle Genehmigung des Rabbiners oder des Vorstandes einzuholen.

Abweichungen von dieser Ordnung müssen beschlossen und dem Gr. Rabbiner der Provinz mitgeteilt werden.

Die Gebührensätze werden vor Ort festgelegt und sind ebenfalls genehmigungspflichtig.

Ausdrücklich werden auch Strafen vorgesehen, wenn diese Ordnung nicht eingehalten wird.

Ähnlich wie die eben vorgestellte Verordnung ist die "Anordnung der Wache bei Kranken und Todten in der Gemeinde in Höringhausen" aufgebaut.

Dort wird festgelegt, wer im Krankheitsfalle zu benachrichtigen ist und wer verpflichtet ist, Krankenpflege und -wache zu übernehmen. So ist jeder Mensch zwischen 15 und 60 Jahren heran zu ziehen. Bei Männern halten Männer Wache, bei erkrankten Frauen Frauen. Diese Wache ist rund um die Uhr zu leisten. Im Sommer genügen für die Nachtwache zwei Personen, im Winter sind vier erforderlich. Da wird um Mitternacht gewechselt und es ist ein "Übergabegespräch" angesagt.

Auch hier wird Strafe erhoben, wenn sich jemand diesen Verpflichtungen ohne zwingenden Grund entzieht. Ist jemand verhindert, kann er Vertretung nehmen, diese ist aber von ihm zu bezahlen.

Kosten, die auf Grund von Armut nicht beglichen werden können, gehen zu Lasten der Israel. Gemeinde.

In dieser Verordnung wird noch einmal ausdrücklich auf die zuvor erläuterte Begräbnisordnung verwiesen, die ausdrücklich anerkannt wird.

Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde verpflichten sich durch Unterschrift, diese Verordnung anzunehmen und schicken sie zum Gr. Rabbiner nach Biedenkopf, wo sie genehmigt wird.

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Schlußbemerkung

Es gäbe sicherlich noch sehr vieles zu berichten, besonders über die Sitten, die Bräuche die religiösen Feste, das Miteinander der Menschen im Ort. Aber ich will hier schließen.

Bedanken möchte ich mich bei allen, die mir Material zur Verfügung gestellt haben als da sind: Herr Figge, Herr Mettenheimer (auch Dias), Frau Böhme, Frau Zimmermann (Dias), Herr Olischläger und Herr Albrecht. Das Ortssippenbuch von Herrn Friedrich Sauer hat mit gute Dienste erwiesen.

Die Bücher Juden in Waldeck, Jüdische Gemeinden in Hessen, Synagogen in Hessen und Jüdische Religion zog ich ebenfalls zu Rate.

Ganz wichtig aber waren mir die Gespräche, die ich mit vielen Menschen hier aus dem Ort geführt habe. Sie beantworteten meine Fragen und erinnerten sich an sehr vieles. Auch heute ist es leider noch nicht selbstverständlich, daß man über die Zeit des Nationalsozialismus unbefangen und offen spricht.

Zum Schluß bedanke ich mich bei Ihnen allen, die Sie mir so lange zugehört haben.

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