Dienstag, 31. Mai 2022, Waldeckische Landeszeitung / Landkreis
VOR 80 JAHREN
Die zweite Deportation von Juden aus Waldeck und Frankenberg läuft an
Keiner hat die Konzentrationslager überlebt
VON DR. MARION LILIENTHAL
Waldeck-Frankenberg – Vor 80 Jahren begann die zweite Deportation von Juden aus 62 Dörfern und Städten des Kasseler Regierungsbezirks. Sie wurden gewaltsam aus ihren Wohnungen geholt und in ein Sammellager nach Kassel gebracht.
Am 1. Juni 1942 startete der Sonderzug „DA 57“ mit 508 Männern, Frauen und Kindern. Die Ziele waren die Vernichtungslager im Distrikt Lublin – als einziger überlebte Robert Eisenstädt.
Unter den Deportierten waren auch mindestens 42 jüdische Einwohner aus dem heutigen Waldeck-Frankenberg. Allein 20 Männer, Frauen und Kinder hatten den Geburts- und Wohnort Korbach – 3,93 Prozent. Keiner von ihnen sollte überleben.
Minutiös wurde auch diese Deportation vorbereitet. Bereits am 20. März 1942 informierte die Geheime Staatspolizeistelle in Kassel die Landräte und Polizeidienststellen über schon „laufende Evakuierungsaktionen“, bei denen in nächster Zeit „auch aus dem Regierungsbezirk Kassel ca. 840 Juden nach dem Osten abgeschoben“ werden sollten.
Auf der Deportationsliste standen auch Juden, die vom ersten Transport am 9. Dezember 1941 zurückgestellt worden waren – etwa die bis 1937 in Korbach lebenden Albert und Ehefrau Frieda Goldberg. Schon Wochen vor der Verschleppung war Wrexen zum Ghetto-Sammellager für jüdische Menschen aus Korbach, Vöhl und Dörfern des Uplandes geworden.
Am 31. Mai 1942, heute vor genau 80 Jahren, mussten auch in den damaligen Kreisen Waldeck und Frankenberg 42 Juden mit wenigen Habseligkeiten im Gepäck in Zuleitungszügen nach Kassel aufbrechen.
Es ist zu vermuten, dass die Korbacher Juden erst relativ spät von der bevorstehenden „Umsiedlung“ erfuhren. Ihr Zug nach Kassel fuhr um 6.20 Uhr ab. Der frühe Termin ermöglichte einen Abtransport ohne öffentliches Aufsehen.
Welche Angst, Verzweiflung und Not die bevorstehende Deportation auslöste, kann nur erahnt werden. Die nach Wrexen gebrachten Korbacherinnen Anna und Ella Baer sahen scheinbar keinen anderen Ausweg, als sich am Vorabend der Deportation das Leben zu nehmen.
Dass bei dieser Verschleppung in den Tod, zynisch „Auswanderertransport“ überschrieben, herzlos gezählt und bürokratisch verwaltet wurde, zeigen die erhaltenen Transportlisten ab Kassel, die die Namen alphabetisch und ohne Rücksicht auf Orts- oder Familienzusammengehörigkeit bis zur Ziffer 508 aufzählen. Die 508 waren in den Waggons, als der Zug am 1. Juni 1942 in Kassel startete. In Halle wurden weitere 155 Menschen eingeladen. Es war heiß und stickig in den Waggons, schnell gingen Wasser und Essen aus. Die Lage war aussichtslos: „Die Leute waren völlig mutlos“, schilderte Robert Eisenstädt später.
Am 3. Juni 1942 erreichte der Sonderzug den Bahnhof in Lublin. Auf einem Nebengleis wurde „entladen“ – um die 100 kräftige, arbeitsfähige Männer zwischen 15 und 50 Jahren wurden für das Konzentrationslager Majdanek „selektiert“ – sie mussten dort Schwerstarbeit leisten.
Dann fuhr der Zug weiter – direkt ins Vernichtungslager Sobibor. Dort wurden die übrigen Deportierten vergast.
Die Deportation am 1. Juni war die zweite große aus dem Regierungsbezirk, bevor am 7. September 1942 die letzten noch in den Kreisen lebenden Juden nach Theresienstadt und von dort in Todeslager abtransportiert wurden.