Montag, 07. November 2022, Waldeckische Landeszeitung / Lokales
Im Gebet wird die Angst kleiner
Gläubige aus vier Religionen diskutieren über Kraftquellen in Krisenzeiten
VON HANS PETER OSTERHOLD
Vöhl – Verleiht eine Religion Kraft in schwierigen Zeiten? Ein herausforderndes Thema hatten sich die Mitglieder des Projekts „Weiße Taube“, die sich seit mehreren Jahren zu interreligiösen Gesprächen treffen, für ihre Podiumsdiskussion in der ehemaligen Synagoge in Vöhl gestellt. Es gab vier unterschiedliche gedankliche Ansätze, aber auch manche Gemeinsamkeiten.
Zunächst hatte der Vorsitzende des Förderkreises der ehemaligen Vöhler Synagoge, Karl-Heinz Stadler, die Gäste begrüßt und eine kurzen Abriss über die Geschichte des Hauses im 20. Jahrhundert gegeben. Dann ging es mit kurzen Statements der Vertreter der vier vertretenen Religionen ins Thema.
Die Grundlage des Judentums sei Gebet, Nächstenliebe und Umkehr, sagte Armando Simon-Thielen und ging dann auf Phasen der jüdischen Geschichte ein. Die Juden hätten viele Krisen in ihrer Geschichte erlebt, im Exil in Ägypten oder der babylonischen Gefangenschaft beispielsweise. Die zehn Gebote seien ihnen gegeben worden, um für die Verbesserung der Welt einzutreten und die Thora, als „die transportable Heimat der Juden“.
Franz Harbecke sprach aus christlicher Perspektive. Und begann gleich mit kritischen Worten. Die Rolle der Religion in der Coronazeit sei eher von Kraftlosigkeit geprägt worden. Ostern und andere wichtige Feste seien ausgefallen: „Haben wir da Kraft gezeigt?“ Das Zentrum der Kraft der Christen sei der Glaube an Gott und an Jesus Christus. Jesus habe die Liebe Gottes zu den Menschen vorgelebt, geheilt und getröstet. Das werde auch heute von den Christen erwartet. Viele hätten sich in der Zeit der Pandemie für andere eingesetzt. Kraft komme unter anderem aus dem Gebet: „Dann wird die Angst kleiner.“
In Krisen ist Geduld das Wichtigste, sagte Muhammet Balkan aus Sicht des Islam. Gott gebe Hoffnung, Zuflucht und Geduld. Krisen seien die Gelegenheit, die Gottvergessenheit zu überwinden und Mitleid und Erbarmen für andere anzuwenden.
Dr. Bernardo Fritzsche betrachtete die Rolle der Religion in der Krise zunächst als Bahá’í und Mediziner. Studien hätten gezeigt, dass Religion die Resilienz steigere, das schaffe Schutz für andere. Auch die Heiligen Schriften könnten in Krisen helfen, Ängste zu besiegen und Kraft geben, sich und die Welt zu verändern.
Wie der Glaube an die nächste Generation weitergegeben werden könne, wollte jemand aus dem Publikum wissen. Im Judentum sei das zunächst Aufgabe der Mutter, die mit Gebeten und Ritualen den Tag für die Familie gestalte, sagte Simon-Thielen. Von kleinsten Kindesbeinen an würden viele fröhliche jüdische Feste mit der ganzen Familie und auch der Gemeinde gefeiert. Das sei sehr prägend.
Franz Harbecke sieht das Vorbild der Älteren als Chance für die Familie und Gesellschaft. „Machen können wir den Glauben nicht, nur vorleben.“ Für Muhammet Balkan gehört Respekt dazu, den viele Jüngere nicht von ihren Eltern vorgelebt bekämen. Aber er hat auch seine Zweifel, ob das in jeder Familie funktioniert. Wenn er miterlebe, wie sich manche Eltern bei Elternabenden aufführten, täten ihm die Lehrer leid. Auch für Bernardo Fritsche ist das Vorbild das Wichtigste. Die Bahá’í lüden zu Kindertreffen ein, bei denen „Tugenden“ vermittelt werden sollten. Soziales Verhalten würde vielfach in der Familie nicht vermittelt, was früher in der Großfamilie selbstverständlich war, verlautete aus dem Publikum. Die müsse im Bildungssystem besser verankert werden. Auch gehe es beim Bewältigen von Krisen nicht in erster Linie um Religion, sondern um den persönlichen Glauben, darin waren sich die meisten dann einig. Der Abend endete mit Gebeten aus den vier beteiligten Religionen. Die Podiumsdiskussion wurde engagiert moderiert von Tahireh Setz.