Freitag, 13. Januar 2023, Waldeckische Landeszeitung / Landkreis
Sensationsfund bei Bauarbeiten
In Kassel sind historische Dokumente aufgetaucht – auch aus Vöhl
VON CHRISTINA HEIN
Kassel/Vöhl – Die Bauarbeiten für mehr Sicherheit in der Kasseler Synagoge haben überraschend einen Sensationsfund zutage gefördert. Er gibt viele Fragen und Rätsel auf.
Beim notwendigen Um- und Ausräumen einiger Räume wurde in einem ungenutzten Wandschrank eines Schulraums ein unbekanntes Konvolut an unterschiedlichen Akten und Papieren gefunden, die jüdische Menschen aus Nordhessen betreffen, unter anderem aus Frankenberg und Vöhl.
Es handelt sich um zwei Dutzend Ordner mit Unterlagen, Original-Dokumenten von privaten und städtischen Institutionen aus den Jahren des Nationalsozialismus, Deportations- und Evakuierungslisten sowie Fragebögen, auf denen Juden Angaben etwa über ihren Besitz machen mussten. Die Beschriftung der gefundenen Ordner weist zudem auf Finanzamtsunterlagen hin. Ein Teil der Papiere sind Originale, einige sind Fotokopien.
Damit nicht genug. Darüber hinaus wurden umfangreiche historische Dokumente gefunden wie Grundbuch- und standesamtliche Eintragungen, Akten aus Behörden und Katasterämtern aus dem 19. Jahrhundert aus den Ortschaften Frankenberg und Vöhl. Dort hatte es vor dem Holocaust große jüdische Gemeinden und Synagogen gegeben.
Zu dem rätselhaften Fund, zu dem auch ausgeschnittene Zeitungsartikel aus den frühen 1930er-Jahren zählen, gehört außerdem eine original pergamentene Bibelrolle, dem Buch Esther.
„Keiner wusste von den Papieren und wir können nicht sagen, wann, wie und warum sie in die Kasseler Synagoge gelangt sind“, sagt Esther Haß vom Vorstand der Kasseler Jüdischen Gemeinde.
Eine wissenschaftliche Betrachtung soll nun für mehr Klarheit sorgen. Mit einer Spende des Kasseler Clubs Soroptimist International Elisabeth Selbert in Höhe von 2500 Euro sollen die Akten jetzt gesichert und ihre Erforschung angeschoben werden. Dazu wurde ein Teil des Konvoluts bereits ins Sara-Nussbaum-Zentrum für jüdisches Leben gebracht. „Als erstes werden wir alles digitalisieren“, sagt Elena Padva, Geschäftsführerin im Nussbaum-Zentrum. Und weiter: „Dann sehen wir weiter. Es ist auf jeden Fall sehr bewegend, Original-Papiere in der Hand zu halten, auf denen Sara Nussbaum handschriftliche Angaben gemacht hat.“
Sara Nussbaum (1868-1956) war eine deutsche Rot-Kreuz-Schwester und Überlebende des Holocausts. Im Jahr 1956 wurde sie zur Ehrenbürgerin der Stadt Kassel ernannt und posthum mit einem Ehrengrab geehrt.
Die Präsidentin des SI-Clubs Elisabeth Selbert und Verlegerin Renate Matthei sagt: „Dieser sensationelle Fund muss nun sorgfältig aufgearbeitet werden, um ihn für die Nachwelt zu erhalten und die Auseinandersetzung mit der Stadtgeschichte zu ermöglichen.“