Freitag, 27. Januar 2023, Waldeckische Landeszeitung / Landkreis
HOLOCAUST-GEDENKTAG Auch Minderheiten wurden zum OpferMordpläne fanden willfährige Vollstrecker
VON KARL-HERMANN VÖLKER
Waldeck-Frankenberg – In Erinnerung an den Tag der Befreiung des NS-Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 gedenkt der Deutsche Bundestag heute ab 10 Uhr im Plenarsaal der Opfer des Nationalsozialismus. Im besonderen Blickpunkt stehen dabei in diesem Jahr Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität im Nationalsozialismus verfolgt wurden.
Zu den insgesamt sechs Millionen Ermordeten, an die der Internationale Holocaustgedenktag erinnert, gehören auch mehr als 800 Juden, Sinti, Behinderte und politisch Andersdenkende allein aus Städten und Gemeinden des heutigen Landkreises Waldeck-Frankenberg, etwa 155 von ihnen kamen im Vernichtungslager Auschwitz um. Auch ihrer wird heute im Landkreis gedacht, so ab 18 Uhr in der alten Synagoge Vöhl, wo Schüler der Ederseeschule Herzhausen über das Ghetto Theresienstadt berichten. Ab 17 Uhr werden dort „Lichter gegen die Dunkelheit“ leuchten.
Mit Veranstaltungen, Ausstellungen, Buchpublikationen, verlegten Stolpersteinen, Mahnorten, Gedenkportalen im Internet und Kontakten zu Nachfahren der Opfer von deutscher Gewaltherrschaft hat sich in den vergangenen Jahren in unserem Kreis eine breit in der Bevölkerung verankerte Gedenkkultur entwickelt. Dabei gilt besondere Aufmerksamkeit den vertriebenen und ermordeten jüdischen Bürgern, die Jahrhunderte lang christlich-jüdisches Zusammenleben, Gesellschaft und Kultur mitgestaltet haben. Die Barbarei des in unserer Region ländlich geprägten NS-Faschismus, ausgeführt von groben SA-Braunhemden oder Schreibtisch-Tätern, erfasste daneben aber auch Minderheiten, an die seltener gedacht wird.
Das vom NS-Regime schon 1933 erlassene „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ fand auf unterer Ebene der Gesundheitsämter in systemtreuen Medizinern willfährige Vollstrecker. Unter dem Buchtitel „Erbbiologische Selektion in Korbach 1933-1945“ legte dazu 2014 Dr. Marion Lilienthal eine umfangreiche Studie mit erschreckenden Ergebnissen vor: 45 Einwohner allein der Stadt Korbach wurden aufgrund des Gesetzes zwangssterilisiert, 27 jugendliche und erwachsene Bürger und Patienten fielen der NS-„Euthanasie“ zum Opfer.
Gefürchtet war, wie Zeitzeugen berichteten, der Frankenberger Medizinalrat Dr. Kurt Peters, der sie als Angehörige kinderreicher Familien einbestellte und „untersuchte“. Er ordnete Sterilisierungen nicht nur an, sondern entschied auch darüber als Mitglied des „Erbgesundheitsgerichts“. Im Dezember 1939 schlug er eine sozialschwache („asoziale“) Vöhler Familie zur Unterbringung in einem Lager, „evtl. KZ“, vor.
Eine durch das Lebenshilfewerk Waldeck-Frankenberg 2009 angestoßene Forschungsinitiative ermittelte, dass in den Kreisen Waldeck und Frankenberg insgesamt 500 Bürger dem NS-Massenmord an Kranken und Behinderten, zynisch „Euthanasie“ genannt, zum Opfer fielen.
Behinderte verschwanden plötzlich aus dem Dorfbild oder wurden systematisch aus Anstalten wie Hephata oder Haina deportiert. An mehr als 400 der Tötung preisgegebene Patienten erinnert heute eine Mahn- und Gedenkstätte auf dem Friedhof Haina.
Der sogenannte „Auschwitz-Erlass“ des SS-Reichsführers Heinrich Himmler vom 16. Dezember 1942 ordnete nach langer Verfolgung die völlige Vernichtung der im Deutschen Reich lebenden etwa 500 000 Sinti und Roma an. Zu denen, die im „Zigeunerlager“ Auschwitz-Birkenau und anderen Orten ermordet wurden, gehören beispielsweise allein aus der Siedlung Kröge, wie Arnd Böttcher auf seinem Battenberg-Gedenkportal nachweist, zwölf Angehörige der Familie Klein.