Dienstag, 20. Juni 2023, Waldeckische Landeszeitung / Guten Morgen, W aldeck!
Auf den Spuren seiner Vorfahren
Der Amerikaner William Roth ist Nachfahre der Rothschilds und besucht Vöhl
VON STEFANIE RÖSNER
Vöhl – Ihm fehlen nur selten die Worte, sagt William Roth. Doch was er von seiner Reise nach Vöhl erwartet, das könne er schwer in Worte fassen. Der 80-Jährige überlegt, und dann erzählt er doch ausführlich darüber, was ihn antreibt. Der Amerikaner, der in Bangkok lebt, will seine eigene Geschichte kennenlernen. Wissen, woher er kommt.
„Es ist etwas Erfüllendes, zu lernen, woher du stammst“, sagt William Roth. Bis seine Nichte Elisabeth Foote sich mit der Familiengeschichte befasste, hatte William Roth so gut wie nichts über den Stammbaum seines Vaters gewusst. Schon Williams Schwester recherchierte dazu, und der Vater wollte es nicht wahrhaben – dass seine Vorfahren Juden waren.
William Roth wuchs in Kalifornien bei Los Angeles auf. „Ich war nie wirklich an Ahnenforschung interessiert.“ Seine Mutter stammte aus New Orleans und war Christin. Sein Großvater väterlicherseits aber, Edward Otto Roth, war ein Maler, der seinen Nachnamen abkürzte. „Er starb, bevor ich geboren wurde. Mein Vater sprach nicht viel über seine Eltern“, sagt William Roth. „Es gab keine Informationen. Es hieß immer, dass im Zweiten Weltkrieg alle Dokumente zerstört worden seien.“ Nun sei es „aufregend zu sehen“, woher er eigentlich stammt.
Williams Urgroßvater war der Vöhler Jude Abraham Rothschild (1829 bis 1921), der nach seiner Konversion zum christlichen Glauben den Namen Adolph annahm und mit seiner Familie im Jahr 1866 in die USA auswanderte. „Ich weiß nicht viel über das Judentum“, sagt William Roth, als er mit Karl-Heinz Stadtler in der alten Synagoge in Vöhl sitzt und auf Englisch erzählt. Er gibt sich ehrfürchtig angesichts dieses Raumes, der für die Gläubigen ein heiliger Ort war. „Ich finde es bemerkenswert, dass Nicht-Juden diesen Ort mit viel Aufwand erhalten“, sagt er über Ehrenamtliche des Förderkreises Synagoge.
Nun hat es den Kosmopoliten ins kleine Vöhl verschlagen. Den Juristen, der auch im Ruhestand noch als Dozent in Bangkok tätig ist. Für den im Alter die Erfahrungen aus seiner Kindheit präsent werden. „Meinen Vater würde ich als eher antisemitisch bezeichnen“, sagt er reflektiert. Mit Vorurteilen gegenüber Juden wuchs er auf. Andererseits erlebte er als Junge eine Offenheit im Großraum von Los Angeles, die seinen Worten zufolge in den 50er Jahren einmalig war. „Der Westen der USA war lange der einzige Ort der Welt, wo die meisten Einwohner nicht dort geboren waren.“
Diese Vielfalt brachte Fortschritt und Innovationen. Es gab keine Konventionen, sagt William Roth. „Alle mussten verhandeln, wie man sich verhält. Wir haben unsere Regeln selbst gemacht. Wir waren daran gewöhnt, Neues zu tun.“ Daher rührte allerdings ein Gefühl der Unverbindlichkeit. Es spielte keine Rolle, woher man kam. „Ich hatte keine Wurzeln“, sagt William Roth.
Ich hatte keine jüdische Identität.
William Roth
An früheren Häusern von Vöhler Juden scannt William Roth jeweils den QR-Code, der ihn zu schriftlichen Informationen über die jüdischen Familien sowie zu Bildern im Internet leitet. Über die Webseite der Vöhler Synagoge sind die Namen der Juden zu finden, die bis zum Zweiten Weltkrieg in Vöhl gelebt hatten. Auch der Stammbaum der Familie von Adolph (Abraham) Rothschild ist dort aufgezeigt, William Roths Urgroßvater.
Am jüdischen Friedhof besucht William Roth die Grabsteine derjenigen mit dem Namen Rothschild, die noch erhalten sind. Unter dem Regime der Nationalsozialisten war der Friedhof eingeebnet worden.
Nach dem Krieg veranlassten die amerikanischen Besatzer, dass immerhin 46 Grabsteine wieder aufgestellt wurden, so berichtet es Karl-Heinz Stadtler. 160 Juden müssten dort seinen Angaben zufolge beerdigt sein.
„Ich hatte keine jüdische Identität“, sagt William Roth. „Nun herauszufinden, jüdische Vorfahren zu haben, ist sehr bedeutsam für mich. Jetzt schließt sich ein Kreis.“