Dienstag, 23. Januar 2024, Waldeckische Landeszeitung / Lokales
„Zweistaaten-Lösung nicht möglich“
Nahost-Konflikt: Vortrag von Professor Eckart Woertz in der Vöhler Synagoge
VON MARIANNE DÄMMER
Vöhl – „Ich sehe keine schnelle und keine einfache Lösung für den Konflikt in Israel und Palästina“, sagte Prof. Dr. Eckart Woertz am Freitagabend in der Vöhler Synagoge. Dort hielt er einen Vortrag über den Nahostkonflikt – spannte den Bogen mit Blick auf das komplizierte und vielschichtige Gefüge von den Anfängen bis in die Gegenwart.
Woertz ist Dozent an der Universität Hamburg, sein Spezialgebiet ist die Lehre und Forschung zur Zeitgeschichte und Politik des Vorderen Orients und Nordafrikas. Er ist Direktor des GIGA-Instituts für Nahoststudien und lebte lange in verschiedenen Ländern der Golfregion.
Der Zionismus – das Streben nach einem unabhängigen jüdischen Staat – sei eindeutig begründet im Europäischen Nationalismus 1881 bis 1918 und dem erweiterten Konflikt bis 1948, dem Holocaust und seinen Folgen, so Woertz. „Ohne Antisemitismus in Europa hätte es den Zionismus so nicht gegeben und den Drang, in Palästina einen eigenen Staat zu entwickeln“. Vertreibungen und ethnische Bereinigungen hätten einen enormen Leidensdruck ausgelöst. Wobei Palästina, auf das die Wahl schließlich fiel, als politische Einheit erst nach dem Ersten Weltkrieg durch die britische Mandatsmacht geschaffen wurde. Die Briten hätten (Balfour Declaration) Franzosen, Arabern und Juden Versprechungen gemacht, die sich teils konträr gegenüberlagen und damit auf allen Seiten für viel Frust gesorgt.
Die Zionisten hätten von Anfang an auf Expansion gesetzt, auch wenn sie 1947 den UN-Teilungsplan, im Gegensatz zu den Palästinensern, pro forma akzeptiert hätten. Israel habe im Sechstagekrieg 1967 Jerusalem eingenommen, mit seinem Machtanspruch einen immensen Erfolg erzielt, der für die Araber eine dramatische Niederlage bedeutet habe. Seither hätten die Israelis Palästina größtenteils ganz übernommen. Eine Zweistaatenlösung sei durch die israelische Siedlungspolitik, den Mauerbau und die Vorherrschaft von radikalen Kräften auf beiden Seiten kaum noch möglich. Die Hamas regiere autoritär, ähnlich dem islamischen Dschihad. „Die Zweistaaten-Lösung ist eine Lebenslüge westlicher Politiker, um sich zu beruhigen. Vor Ort glaubt niemand mehr daran“, betonte Woertz. Beide Seiten würden die Einstaaten-Lösung wollen, wobei die Palästinenser 1993 in Oslo zugunsten einer Lösung immerhin in Vorleistung gegangen seien und Israel als Staat anerkannt haben, was Israel und der Westen umgekehrt nicht getan hätten.
Seit Jahren gebe es bereits eine Einstaaten-Realität mit einer drei Klassen-Gesellschaft und unterschiedlichen Rechten. Erste Klasse sei die jüdisch-israelische, gefolgt von einer arabisch-israelischen, dritte Klasse seien die Palästinenser in den besetzten Gebieten. Die Hamas sei groß geworden und habe 2006 die Wahlen gewonnen, weil es nie zu einer echten Zweistaaten-Lösung gekommen sei – der Konflikt sei programmiert gewesen.
Um den Konflikt zu beenden, müsse die Besatzung beendet werden, das sehe er jedoch nicht. Inzwischen seien 70 Prozent der Bausubstanz in Gaza zerstört, „wie sollen die Palästinenser überhaupt zurückkommen, selbst wenn es erlaubt wird? Wird es nicht erlaubt, haben wir es mit ethnischer Säuberung zu tun, und die wird auch so von der israelischen Rechten angekündigt“.
Wie kann das Problem gelöst werden? Grundsätzlich möglich sei eine gemeinsame Konföderationsregierung, in der beide gleichberechtigt regieren – also eine Einstaaten-Lösung mit gleichen Rechten.
Aktuell aber habe Ministerpräsident Netanjahu ein politisches Interesse daran, den Krieg fortzuführen, weil er sich vor Gericht verantworten müsse. Zugleich wolle Israel sein Abschreckungspotenzial wiederherstellen nach dem Gesichtsverlust, den die Armee durch den Überfall im Oktober erlitten habe. „Ich bin jedoch vorsichtig optimistisch, dass der Konflikt regional nicht ausgeweitet wird,“ so Woertz.