Vöhl – „Ich se­he kei­ne schnel­le und kei­ne ein­fa­che Lö­sung für den Kon­flikt in Is­ra­el und Pa­läs­ti­na“, sag­te Prof. Dr. Eckart Wo­ertz am Frei­tag­abend in der Vöh­ler Syn­ago­ge. Dort hielt er ei­nen Vor­trag über den Nah­ost­kon­flikt – spann­te den Bo­gen mit Blick auf das kom­pli­zier­te und viel­schich­ti­ge Ge­fü­ge von den An­fän­gen bis in die Ge­gen­wart.

Wo­ertz ist Do­zent an der Uni­ver­si­tät Ham­burg, sein Spe­zi­al­ge­biet ist die Leh­re und For­schung zur Zeit­ge­schich­te und Po­li­tik des Vor­de­ren Ori­ents und Nord­afri­kas. Er ist Di­rek­tor des GI­GA-In­sti­tuts für Nah­ost­stu­di­en und leb­te lan­ge in ver­schie­de­nen Län­dern der Golf­re­gi­on.

Der Zio­nis­mus – das Stre­ben nach ei­nem un­ab­hän­gi­gen jü­di­schen Staat – sei ein­deu­tig be­grün­det im Eu­ro­päi­schen Na­tio­na­lis­mus 1881 bis 1918 und dem er­wei­ter­ten Kon­flikt bis 1948, dem Ho­lo­caust und sei­nen Fol­gen, so Wo­ertz. „Oh­ne An­ti­se­mi­tis­mus in Eu­ro­pa hät­te es den Zio­nis­mus so nicht ge­ge­ben und den Drang, in Pa­läs­ti­na ei­nen ei­ge­nen Staat zu ent­wi­ckeln“. Ver­trei­bun­gen und eth­ni­sche Be­rei­ni­gun­gen hät­ten ei­nen enor­men Lei­dens­druck aus­ge­löst. Wo­bei Pa­läs­ti­na, auf das die Wahl schlie­ß­lich fiel, als po­li­ti­sche Ein­heit erst nach dem Ers­ten Welt­krieg durch die bri­ti­sche Man­dats­macht ge­schaf­fen wur­de. Die Bri­ten hät­ten (Bal­four De­cla­ra­ti­on) Fran­zo­sen, Ara­bern und Ju­den Ver­spre­chun­gen ge­macht, die sich teils kon­trär ge­gen­über­la­gen und da­mit auf al­len Sei­ten für viel Frust ge­sorgt.

Die Zio­nis­ten hät­ten von An­fang an auf Ex­pan­si­on ge­setzt, auch wenn sie 1947 den UN-Tei­lungs­plan, im Ge­gen­satz zu den Pa­läs­ti­nen­sern, pro for­ma ak­zep­tiert hät­ten. Is­ra­el ha­be im Sechs­ta­ge­krieg 1967 Je­ru­sa­lem ein­ge­nom­men, mit sei­nem Macht­an­spruch ei­nen im­mensen Er­folg er­zielt, der für die Ara­ber ei­ne dra­ma­ti­sche Nie­der­la­ge be­deu­tet ha­be. Seit­her hät­ten die Is­rae­lis Pa­läs­ti­na grö­ß­ten­teils ganz über­nom­men. Ei­ne Zwei­staa­ten­lö­sung sei durch die is­rae­li­sche Sied­lungs­po­li­tik, den Mau­er­bau und die Vor­herr­schaft von ra­di­ka­len Kräf­ten auf bei­den Sei­ten kaum noch mög­lich. Die Ha­mas re­gie­re au­to­ri­tär, ähn­lich dem is­la­mi­schen Dschi­had. „Die Zwei­staa­ten-Lö­sung ist ei­ne Le­bens­lü­ge west­li­cher Po­li­ti­ker, um sich zu be­ru­hi­gen. Vor Ort glaubt nie­mand mehr dar­an“, be­ton­te Wo­ertz. Bei­de Sei­ten wür­den die Ein­staa­ten-Lö­sung wol­len, wo­bei die Pa­läs­ti­nen­ser 1993 in Os­lo zu­guns­ten ei­ner Lö­sung im­mer­hin in Vor­leis­tung ge­gan­gen sei­en und Is­ra­el als Staat an­er­kannt ha­ben, was Is­ra­el und der Wes­ten um­ge­kehrt nicht ge­tan hät­ten.

Seit Jah­ren ge­be es be­reits ei­ne Ein­staa­ten-Rea­li­tät mit ei­ner drei Klas­sen-Ge­sell­schaft und un­ter­schied­li­chen Rech­ten. Ers­te Klas­se sei die jü­disch-is­rae­li­sche, ge­folgt von ei­ner ara­bisch-is­rae­li­schen, drit­te Klas­se sei­en die Pa­läs­ti­nen­ser in den be­setz­ten Ge­bie­ten. Die Ha­mas sei groß ge­wor­den und ha­be 2006 die Wah­len ge­won­nen, weil es nie zu ei­ner ech­ten Zwei­staa­ten-Lö­sung ge­kom­men sei – der Kon­flikt sei pro­gram­miert ge­we­sen.

Um den Kon­flikt zu be­en­den, müs­se die Be­sat­zung be­en­det wer­den, das se­he er je­doch nicht. In­zwi­schen sei­en 70 Pro­zent der Bau­sub­stanz in Ga­za zer­stört, „wie sol­len die Pa­läs­ti­nen­ser über­haupt zu­rück­kom­men, selbst wenn es er­laubt wird? Wird es nicht er­laubt, ha­ben wir es mit eth­ni­scher Säu­be­rung zu tun, und die wird auch so von der is­rae­li­schen Rech­ten an­ge­kün­digt“.

Wie kann das Pro­blem ge­löst wer­den? Grund­sätz­lich mög­lich sei ei­ne ge­mein­sa­me Kon­fö­de­ra­ti­ons­re­gie­rung, in der bei­de gleich­be­rech­tigt re­gie­ren – al­so ei­ne Ein­staa­ten-Lö­sung mit glei­chen Rech­ten.

Ak­tu­ell aber ha­be Mi­nis­ter­prä­si­dent Ne­tan­ja­hu ein po­li­ti­sches In­ter­es­se dar­an, den Krieg fort­zu­füh­ren, weil er sich vor Ge­richt ver­ant­wor­ten müs­se. Zu­gleich wol­le Is­ra­el sein Ab­schre­ckungs­po­ten­zi­al wie­der­her­stel­len nach dem Ge­sichts­ver­lust, den die Ar­mee durch den Über­fall im Ok­to­ber er­lit­ten ha­be. „Ich bin je­doch vor­sich­tig op­ti­mis­tisch, dass der Kon­flikt re­gio­nal nicht aus­ge­wei­tet wird,“ so Wo­ertz.