Esther Bejarano kommt nach Korbach und Vöhl
Interview mit Auschwitz-Überlebender: „Dann hätten sie uns erschossen“
Korbach/Vöhl. Die Musik rettete ihr Leben: Esther Bejarano spielte Akkordeon im Mädchenorchester in Auschwitz, ihr Leben verschonten die Nazis deshalb.
Später flüchtete sie während eines Todesmarsches. In der kommenden Woche wird die 93-Jährige in Korbach und Vöhl von ihren Erlebnissen berichten – und mit der „Microphone Mafia“ rappen.
Im Interview mit der WLZ erzählt sie, wieso sie trotz allem Glück hatte im Leben und wieso sie mit ihrer Familie in den 1960ern wieder nach Deutschland kam.
Natürlich habe ich Glück gehabt. Dass meine Eltern und meine Schwester ermordet wurden und ich nach Auschwitz kam, war schrecklich. Aber ich hatte Glück, weil ich in Auschwitz nicht mehr so schwere Arbeit machen musste. Vorher musste ich schwere Steine von einer Seite eines Feldes auf die andere schleppen und am nächsten Tag wieder zurück. Also eine völlig unsinnige Arbeit. Aber man wollte damit unsere Kraft rauben.
Ja, ich hatte die Möglichkeit, ins Mädchenorchester zu kommen. Es wurde nach Frauen gesucht, die Instrumente spielten. Ich hatte gesagt, dass ich Klavier spielen kann. Ein Klavier gab es dort allerdings nicht. Die Dirigentin, auch eine Gefangene, sagte mir, dass eine Akkordeonistin gebraucht wurde.
Ich habe gelogen und gesagt, dass ich auch Akkordeon spielen kann. Dabei konnte ich das gar nicht. Ich sollte dann den Schlager „Du hast Glück bei den Frauen, Bel Ami“ vorspielen und den kannte ich. Zur Dirigentin sagte ich, dass ich ewig nicht gespielt hätte und mich erst wieder reinfinden muss. Ich habe es dann ausprobiert und mir gesagt „Ich muss das können“. Und ich habe es hinbekommen.
Genau. Und der zweite Glücksfall war, dass man in Auschwitz nach Mischlingen gesucht hat. Frauen, die entweder christliche Mutter oder christlichen Vater hatten. Das Internationale Rote Kreuz hat sich dafür eingesetzt, dass Mischlinge aus Auschwitz heraus kommen. Die Nazis hatten ein Gesetz, in dem es hieß, dass Mischlinge nicht in einem Vernichtungslager sein dürfen. Das Internationale Rote Kreuz hat sich darum gekümmert, dass wir aus dem Lager kamen. Wir wurden nach Ravensbrück gebracht, ein ganz schlimmes Frauenstraflager. Aber es war kein Vernichtungslager.
Mit Musik hatte das wenig zu tun. Wir mussten Märsche spielen. Und wir mussten am Tor stehen und spielen, wenn die Arbeitskolonnen morgens zur Arbeit gingen und abends, wenn sie zurückkamen. Es war eine psychisch ganz schlimme Arbeit, auch weil wir ein schlechtes Gewissen hatten, weil wir dort standen und Musik machten.
Noch schlimmer war aber, dass wir am Tor stehen und spielen mussten, wenn neue Transporte ankamen. Auf besonderen Gleisen kamen die Züge an und diese Gleise führten direkt zur Gaskammer. Alle Menschen, die in den Zügen saßen, sind in die Gaskammer gegangen. Und wir mussten da stehen und spielen. Das war das Schlimmste, was ich erlebt habe. Man konnte nicht helfen, niemanden warnen. Wir haben mit Tränen in den Augen dort gestanden und wir konnten nicht aufhören zu spielen, weil hinter uns SS-Männer standen mit ihren Gewehren. Wenn wir aufgehört hätten zu spielen, dann hätten sie uns erschossen.
Ich habe 15 Jahre in Israel gelebt, aber mein Mann und ich konnten die schreckliche Politik dort nicht mehr ertragen. Wir waren nicht einverstanden damit, dass die Palästinenser so schlecht behandelt wurden. Ausschlaggebend war für uns aber, dass mein Mann nicht in den Krieg ziehen wollte, er war ein Pazifist.
Es gab aber keine Kriegsdienstverweigerung. Wäre er nicht in den Krieg gezogen, wäre er im Gefängnis gelandet. Deshalb mussten wir raus aus Israel.
Eben nicht, weil wir kein Geld hatten. Wenn man mit einer ganzen Familie auswandert, muss man viel Geld haben. Aber ich wurde in Deutschland geboren, bin deutschsprachig. Also kamen wir nach Deutschland. Aber ich hatte zur Bedingung gemacht, dass ich nicht in eine Stadt ziehen werde, in der ich mit meinen Eltern und meinen Geschwistern zusammen gelebt habe. Das hätte ich nicht ausgehalten.
Am Anfang überhaupt nicht, es war schwer, zurückzukommen. Ich wusste ja: Deutschland ist das Land der Täter. Ich konnte mit den Menschen in der ersten Zeit absolut nicht sprechen. Ich habe mich bei jedem gefragt „Was hat der im Krieg gemacht? Vielleicht ist er der Mörder meiner Schwester oder meiner Eltern“.
Heute kann ich sagen, dass ich hier Zuhause bin. Aber ich kann nicht sagen, dass Deutschland meine Heimat ist. Heimat gibt es für mich nicht, weder in Israel noch in Deutschland.
Das finde ich ganz schlimm. Gerade in Deutschland dürfte es eigentlich nicht mehr sein. Man müsste aus der Vergangenheit gelernt haben, aber das ist nicht der Fall. Heute haben wir die AfD, die NPD und das sind alles rechtslastige Parteien.
Sehr große Sorgen. Ich sehe auch Parallelen zur damaligen Zeit.
Natürlich. Es gab zwar keine Angriffe auf mich, aber ich sehe, was alles passiert. Aber es geht nicht nur um Antisemitismus, sondern allgemein um Rassismus. Ich kann das nicht begreifen, dass manche Menschen kein Herz haben und die Flüchtlinge ins Land lassen wollen. Das war damals das gleiche.
Das mache ich. Aber ich mache das, weil es ganz wichtig ist. Es ist wichtig, dass junge Menschen wissen, was damals passiert ist. Ich bin froh, dass ich das machen kann. Viele Schüler schreiben mir und bedanken sich bei mir.
So lange ich kann, so lange ich lebe.
Zur Person
ist 93 Jahre alt. Geboren wurde sie in Saarlouis als Esther Loewy, kurz darauf zog die Familie nach Saarbrücken. Der Vater war Oberkantor in verschiedenen jüdischen Gemeinden. 1941 wurde sie in einem Zwangsarbeitslager interniert, im April 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert. Dort überlebte sie als Mitglied des Mädchenorchesters.
Von Auschwitz wurde sie ins KZ Ravensbrück gebracht. Auf einem der folgenden Todesmärsche konnte sie fliehen. Sie lebte in Israel, heiratete, bekam zwei Kinder und kam 1960 nach Deutschland. Sie ist ausgebildete Musikerin.
Besuch in Korbach und Vöhl
Auf Initiative des Lesebändchens Korbach ist Esther Bejarano am Donnerstag, 29. November, zu Gast bei Schülern der Alten Landesschule und der Beruflichen Schulen Korbach. Am Abend spielt sie ab 19 Uhr mit der „Microphone Mafia“ in der Synagoge Vöhl. Die Gruppe singt und rappt gegen Gewalt. Die Musik – auf Deutsch und Jiddisch – wird ergänzt durch Lesebeiträge Esther Bejaranos.
Karten für den Auftritt in Vöhl gibt es per Mail an