Die Jüdische Schule in Vöhl

Fotos: Kurt-Willi Julius Schulstandorte in der Arolser Str, 8 und Mittelgasse 9

von Karl-Heinz Stadtler 2021

Gliederung

Schule und Lernen im Judentum
Warum eine jüdische Schule in Vöhl?
Unterricht für jüdische Kinder vor 1827
Der Bau und die Finanzierung der Schule in der Mittelgasse 9
Lehrer David Schönhof
Lehrer Salomon Baer
Die Schule in der Ackerrijje (Arolser Str. 8)
In Korbacher Schulen
Im ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik
Unterricht für jüdische Kinder im Dritten Reich

 

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Fortsetzung

Schule und Lernen im Judentum

"Wenn du Kinder erzeugt hast, so unterweise sie jederzeit, jedoch mit Milde. Wende alles auf, ihnen Bücher zu kaufen, und halte ihnen von Jugend auf einen Lehrer. Besolde den Lehrer reichlich; was du ihm gibst, gibst du deinem Sohn. Und wisse, dass dein Glück durch deine Kinder erhöht wird, ihr Wohlergehen auch das deinige ausmacht. Lasse deine Söhne ein Handwerk lernen; für künftige Zeiten wird es ihnen gut tun. Solange du nicht selbst Weisheit und Einsicht erlangt hast, halte dich an den Umgang erfahrener Männer, und schäme dich nicht, zu lernen und zu fragen. Sei der Schweif der Weisen, dann wirst du einst ein Führer werden. Weisheit aber heißt in den Wegen des Glaubens wandeln, Gott fürchten und das Böse meiden, das ist Einsicht. Lerne Weisheit, und wenn sie dir unbegreiflich, lerne wenigstens die Rechenkunst und lies medizinische Bücher.

(aus: "Musar Haskel" von Gaon Hai ben Scherina (939-1038); zit. nach Alfred Pfaffenholz: Was macht der Rabbi...? Das Judentum, München 1995, S. 148)

Dieses ungefähr eintausend Jahre alte Zitat aus der Feder eines prominenten Rabbiners ist ein Hinweis auf die im Vergleich zu anderen Religionen herausragende Bedeutung, die das Lernen, die Erziehung und Bildung im Judentum genießen. Lernen war nie wenigen - z.B. den Priestern - vorbehalten, sondern war allgemeines Ideal. Selbst die in kaum vorstellbarer Armut lebenden Juden Osteuropas: Sie konnten sich oft nicht satt essen, gingen bis in den Herbst hinein barfuß, hatten für den Winter nur ein Paar Stiefel für die ganze Familie, aber sie bezahlten einen Lehrer für ihre Söhne, der diesen oft ab dem dritten Lebensjahr bereits das Lesen, Schreiben und Beten in hebräischer Sprache beibrachte. Diese heilige Pflicht jüdischer Familien resultiert aus einem recht unscheinbaren Vers der Thora: "Diese meine Worte sollt ihr auf euer Herz und auf eure Seele schreiben ... Ihr sollt sie eure Söhne lehren, indem ihr von ihnen redet, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst" (5. Moses 11, 19).

In der jüdischen Religion gibt es neben der Thora die Mischna und die Gemara als rabbinische Interpretationen und Deutungen der Thora, die den Talmud ausmachen. Dort heißt es in einem sehr alten Kommentar eines Rabbiners zu dieser Stelle: ". Eure Söhne und nicht eure Töchter,... So sagen sie: Sobald der Knabe zu sprechen beginnt, spricht sein Vater mit ihm in der heiligen Sprache und lehrt ihn Thora. Spricht er nicht mit ihm in der heiligen Sprache und lehrt er ihn nicht Thora, so ist es, als ob er ihn begraben würde."

Die Verpflichtung zum Lehren lag also ursprünglich beim Vater; wenn dieser aber nicht in der Lage war, den Sohn zu unterweisen, so hatte er dafür Sorge zu tragen, dass ihm ein Lehrer die Aufgabe abnahm.

Noch etwas wird deutlich: ein "Recht auf Bildung" hatten nur die Jungen. Für Mädchen galt dies nicht. Doch sehr viele Familien, die es sich leisten konnten, ermöglichten auch ihren Töchtern Bildung und Ausbildung. Die Anfänge übernahm die Mutter zu Hause, und vor allem ab der sogenannten Zeit der "Emanzipation", die mit der Epoche der Aufklärung begann und dann in die "napoleonische Ära" mit der Einführung vieler Freiheitsgrundsätze mündete, schickte man die Töchter auch auf öffentliche Schulen.

Unterricht für jüdische Kinder vor 1827

Es ist noch unbekannt, seit wann in Vöhl die jüdischen Kinder von einem jüdischen Lehrer unterrichtet wurden. In Vöhler Akten taucht "der Juden Schulmeister" erstmals im Jahr 1799 auf. Seinen Namen kennen wir nicht, und ebenso wenig wissen wir, wie viele Kinder er unterrichtetet. Es kann sein, dass er nur Religionsunterricht erteilte und die Kinder ansonsten in die evangelische Schule gingen, doch ist es durchaus denkbar, dass man Ende des 18. Jahrhunderts jüdische Kinder in der christlichen Schule noch nicht zuließ oder aber von ihnen besondere Gebühren erhob, was dann auch wieder dazu geführt haben könnte, dass nur wenige von ihnen die Schule besuchten. Doch all dies ist derzeit noch nicht bekannt.

Auch für den Kreis Vöhl im Großherzogtum Hessen-Darmstadt galt, dass als Folge der Eroberung durch die französischen Truppen Napoleons und der Einführung der Freiheitsrechte im Jahr 1825 auch bei uns jüdische Kinder kostenlos die Schule besuchen durften. Gemeint war allerdings der Besuch der staatlichen Schule. Lediglich beim Religionsunterricht wurde ihnen ein eigener Lehrer zugestanden. Wahrscheinlich war dies auch in der jüdischen Religionsgemeinde Vöhl, Basdorf, Marienhagen und Oberwerba der Fall.

Im Juni 1824 wurde in Vöhl durch Bürgermeister Küthe ein Schreiben des Großherzoglich Hessischen Kirchen- und Schulraths öffentlich bekannt ge-macht, nach dem die Verbindung des Schächteramtes mit dem eines Schullehrers verboten wurde. (Der Schächter hatte Tiere in der rituell vorgeschriebenen Weise zu töten, damit es nachher verzehrt werden konnte.) Der Lehrer durfte zwar gleichzeitig Vorsänger in der Synagoge sein, und der Vorsänger durfte das Schächteramt ausüben, aber der Lehrer durfte nicht mehr schächten. Dass man dieses Schreiben in Vöhl bekannt gab, lässt darauf schließen, dass es in dieser Zeit einen jüdischen Lehrer gegeben hat. Wahrscheinlich gab es sogar in Marienhagen jemanden, der jüdischen Religionsunterricht erteilte, denn am 1. Februar 1826 schrieb Vöhls Landrat Krebs an den Marienhagener Beigeordneten Klein, dass er ihn mit einer Strafe von 10 Gulden belegen müsse, weil die erwähnte Verfügung in Marienhagen nicht befolgt werde.

Noch am 19. Oktober 1827 berichtete Landrat Krebs dem Kirchen- und Schulrath in Gießen, dass sämtliche jüdische Gemeinden im Kreis, also "Vöhl, Basdorf, Höringhausen, Altlotheim (!), Marienhagen, Eimelrod", ihre Kinder in die christlichen Volksschulen schicken. Aus diesen verschiedenen Dokumenten wird der Schluss zu ziehen sein, dass die Kinder tatsächlich gemeinsam unterrichtet wurden, lediglich im Fach Religion getrennt waren.

Aus all dem entnehmen wir, dass es vorher durchaus üblich war, dass der Lehrer auch die Funktion des Vorsängers oder Vorbeters im Gottesdienst innehatte, die Bar Mizwa der Jungen, die Trauungen und Beerdigungen zelebrierte, aber auch das Amt des Schächters wahrnahm, der bei den zahlreichen jüdischen Metzgern die Schafe, Ziegen oder Rinder nach strengen rituellen Regeln schlachtete. 1825 erschien eine Verordnung des Hessischen Kirchen- und Schulrats in Gießen, die ärmere jüdische Kinder in Bezug auf Schulgeldfreiheit armen christlichen Kindern gleichstellte. 

Warum eine jüdische Schule in Vöhl?

Einige allgemeine Gründe für die Einrichtung einer jüdischen Schule sind schon genannt:

  • - das religiöse Gebot zur Unterweisung insbesondere der Söhne in Thora und Talmud;
  • - damit in Zusammenhang stehend: das hohe Ansehen, das Bildung und Erziehung vor allem unter Juden genossen;
  • - die Einführung der Freiheits
  • - und Gleichheitsrechte zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Hinzu kam für den Kreis Vöhl ein hoher jüdischer Bevölkerungszuwachs in den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts. Auf ungefähr 140 Personen wuchs die israelitische Gemeinde bis 1840 an, was einem Bevölkerungsanteil von ungefähr 20 % allein in Vöhl entsprach. Die wachsende Zahl in Verbindung mit den gewährten Freiheiten schuf unter den Juden Selbstbewusstsein: wir sind wer! Wir brauchen uns nicht mehr verstecken! Wir können dieselben Rechte in Anspruch nehmen wie unsere christlichen Nachbarn.In diesen Jahren wurden verschiedene Einrichtungen geschaffen; neben der Schule war dies die Synagoge und dann kurz danach der jüdische Friedhof.

Man könnte nun allerdings die Frage stellen, warum denn unbedingt eine religiös orientierte Schule sein musste. Konnten die jüdischen Kinder nicht in die normale Volksschule gehen wie die anderen Kinder auch?

Wie bereits erwähnt, war dies bis zum Bau der Schule in Vöhl und wohl noch einige Jahre darüber hinaus auch durchaus der Fall. Die jüdischen Kinder besuchten die Schule zusammen mit den evangelischen Kindern; lediglich das Fach Religion wurde getrennt unterrichtet. Dies lag auch in der Absicht des Staates. Das Großherzogtum Hessen-Darmstadt wollte kontrollieren, was in den Schulen unterrichtet wurde. Die Regierung musste die Qualität des Unterrichts sicherstellen und für die Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse sorgen. Und dies war nur möglich, wenn der Staat die Lehrer einstellte und über die Schulräte die Unterrichtsinhalte und die Leistung der Lehrer kontrollierte.

Im übrigen gab es großes Misstrauen gegenüber den jüdischen Lehrern, denen man unterstellte, "strenge Talmudisten", sogar Rabbinen zu sein, zu deren Lehre es geradezu gehöre, die "Goi", also die Ungläubigen, zu belügen und zu betrügen.

Allerdings stieß der gemeinsame Unterricht auch auf Schwierigkeiten. Die christlichen Kinder wurden von Montag bis Sonnabend unterrichtet. Den jüdischen Schülern war Unterricht an ihrem Schabbes aber nicht zuzumuten. Auch die verschieden übers Jahr verteilten Feiertage standen einer kontinuierlichen gemeinsamen Arbeit im Wege. Entscheidend war aber sicherlich, dass gerade der Volksschulunterricht in allen Fächern sehr stark religiös geprägt war. Lesen und Schreiben lernte man mit Hilfe der Bibel und anderer religiöser Schriften. Gesungen wurden Lieder von Martin Luther oder Paul Gerhardt, die zu lernenden Gedichte entsprangen ebenfalls der christlich dominierten abendländischen Kultur und Tradition. Die Schulaufsicht wurde neben dem Schulrat auch vom evangelischen Pfarrer ausgeübt. Angesichts all dessen leuchtet es ein, wenn die jüdischen Eltern danach strebten, ihre Sprösslinge nicht in die allgemeine Schule zu schicken.

Für weiterführende Schulen, in denen der Fachunterricht stärker im Vordergrund steht, stellte sich diese Frage in unserer Region offensichtlich nicht. Vöhler Juden schickten ihre Söhne ins Gymnasium nach Korbach, worauf später noch einzugehen sein wird.

Der Bau und die Finanzierung der Schule in der Mittelgasse 09, ehemalige Synagoge

Ausweislich der Balkeninschrift an der Vöhler Synagoge wurde das Gebäude im Juni 1827 gebaut. Geplant war wohl von Anfang an eine Synagoge, doch diente das Haus zunächst als Schule, wie wir aus verschiedenen Dokumenten wissen. Angesichts dieser Aktenlage ist jedoch sehr unklar, wie intensiv der Unterricht in diesem Haus anfangs betrieben wurde. Noch im Oktober 1827 meldete der Kreis Vöhl an den Schulrat in Gießen, dass die jüdischen Kinder in allen Orten Vöhls in der allgemeinen Volksschule unterrichtet würden. Aus dem November desselben Jahres stammt ein Schreiben, aus dem zu entnehmen ist, dass die Schule bereits bestand. Aber auch aus den folgenden Jahren - bis 1835 - liegen verschiedene Schriftstücke vor, die die Vermutung nahe legen, dass die jüdischen Kinder immer noch hauptsächlich in die allgemeine Schule gingen und lediglich phasenweise von einem jüdischen Lehrer in dem Haus in der heutigen Mittelgasse unterrichtet wurden.

Das erwähnte Schriftstück vom November 1827 behandelt einen Streit zwischen den Juden Vöhls und Marienhagens auf der einen und denen aus Basdorf auf der anderen Seite. Jetzt, wo es um das Bezahlen des Gebäudes ging, erinnerten sich die Familienoberhäupter aus Basdorf nicht mehr so genau an die vorher getroffenen Vereinbarungen. Der eine konnte sich nicht mehr erinnern, je eine Zusage gemacht zu haben; ein anderer meinte, die Basdorfer Gemeinde sei inzwischen so sehr angewachsen, dass man an eine eigene Schule denken müsse; ein dritter ergänzt, er sei zu alt, um die Schule noch zu nutzen, und er habe früher ganz bestimmt keine Zusage gemacht. Und dann bezogen sich mehrere auf den reichen Ascher ? Rothschild, der weniger gezahlt habe als vorher zugesagt.

Der erste uns namentlich bekannte jüdische Lehrer hieß David Schönhof und stammte aus Altenlotheim. Eventuelle verwandtschaftliche Beziehungen zu anderen Familien Schönhof aus Vöhl und Marienhagen sind derzeit nicht bekannt. Mindestens seit 1827 hat er sporadisch in Vöhl unterrichtet. 1835 wollte die jüdische Religionsgemeinde Schönhof fest anstellen, und zwar sowohl als Lehrer als auch als Vorsänger für die Gottesdienste. Es wurde ein Vertrag zwischen der Gemeinde und Schönhof ausgearbeitet, der seine lebenslängliche Einstellung und die Frage seiner Besoldung beinhaltete. Der Vertragstext liegt uns vor. Als Lehrer sollte er ein Grundgehalt von 200 Gulden und darüber hinaus sogenannte "Neumondsgelder" von jedem Schüler und ein Schulgeld von der jüdischen Gemeinde erhalten. Alle Familienoberhäupter aus Vöhl, Basdorf und Marienhagen unterschrieben zusammen mit Schönhof den Vertrag. Anschließend wandte sich die Gemeinde an den Schulrat in Gießen und verlangte von ihm die Anstellung Schönhofs als Lehrer. Der Schulrat tat sich schwer. Aufgrund der gesetzlichen Lage konnte er sich nicht weigern, eine jüdische Schule zuzulassen. Aber dass man ihm sogar die Auswahl und Einstellung des Lehrers abnahm und ausdrücklich formulierte, dass die finanziellen Zusagen der jüdischen Gemeinde nur für die Person Schönhofs gelten würden, ging ihm etwas weit. Das wahrscheinlich von Schönhof selbst aufgesetzte Schreiben des Vorstands der jüdischen Gemeinde Vöhls legt den Eindruck nahe, dass es den Gemeindevorstehern in erster Linie um den Gottesdienst und die Gestaltung ritueller Handlungen bei Beschneidung, Bar Mizwa, Hochzeit oder Tod ging, während Schönhof eine Sicherung seiner Existenz anstrebte.
Im Antwortschreiben des Schulrats hieß es, dass man es auch aus dem Interesse der jüdischen Gemeinde heraus nicht einfach hinnehmen könne, eine beliebige Person zum Lehrer zu machen. Ziel müsse ein guter Unterricht sein, der die Schüler in die Lage versetze, eine gute Ausbildung zu machen, und deshalb müsse es sich die Regierung vorbehalten, die Lehrer auszuwählen. Darüber hinaus störte den Schulrat, dass die Schaffung der Lehrerstelle an die Person Schönhofs gebunden war. Wenn schon eine Schule eingerichtet werden sollte, dann sollte dies unabhängig von bestimmten Personen geschehen. Im Falle des David Schönhof akzeptierte der Schulrat die Person vorbehaltlich einer noch abzulegenden Prüfung. Die endgültige Einstellung erfolgte dann durch Dekret des Großherzogs Ludwig Ende 1836. Schulvorsteher wurde Selig Stern. In der Folge waren außerdem der Bürgermeister, der evangelische Pfarrer und zwei von Bürgermeister und Pfarrer mit ausgesuchte Juden Mitglieder dieses Gremiums.
David Schönhof wohnte mit seiner Familie im Schul- und Synagogengebäude. Im Jahre 1940 bestand seine Familie aus 3 Personen über und zwei Personen unter 8 Jahren; er besaß außerdem 1 Schaf oder eine Ziege, wahrscheinlich in dem kleinen Stall im Keller. Wo er unterrichtete, wissen wir nicht ganz genau, doch wahrscheinlich nicht im Sakralraum, sondern in einem der von ihm bewohnten Zimmer. Am ehesten geeignet erscheint der Raum links von der Eingangstür. Die Zahl der Kinder allerdings war so groß, dass mit Sicherheit nicht alle Kinder gleichzeitig in diesem Raum unterrichtet werden konnten. Entweder hat Schönhof zwei Unterrichtsräume zur Verfügung gehabt, oder er hat die Kinder - vielleicht nach Mädchen und Jungen getrennt - zu verschiedenen Zeiten unterrichtet.
Schönhof blieb durchaus nicht lebenslänglich als Lehrer in Vöhl, wie es der Vertrag vorsah. Anfang 1841 kündigte er dem Vöhler Kreisrat an, dass die ihm von der jüdischen Gemeinde zugestandenen Mittel nicht mehr ausreichen würden, das Schulzimmer zu heizen. Zum Zeitpunkt der Vertragsausfertigung habe man eine bestimmte Menge Brennholz zu einem Bestandteil seines Lohnes gemacht. Diese Menge habe nie ausgereicht. Doch aufgrund der geringen Kosten für das Holz habe die jüdische Gemeinde ihm eine größere Menge zur Verfügung gestellt. Nun sei die Gemeinde zu dieser Zusatzleistung nicht mehr bereit, weil die Holzkosten stark gestiegen sind. Der Kreisrat solle dafür sorgen, dass die jüdische Gemeinde das nötige Holz liefere; anderenfalls könne er das Schulzimmer nicht mehr im erforderlichen Umfang heizen. Was aus dieser Beschwerde wurde, wissen wir nicht. Noch im Laufe des Jahres 1841 allerdings beendete Schönhof seine Tätigkeit als Lehrer. Wie sein Amtsnachfolger Salomon Baer in der 1878 begonnenen Schulchronik mitteilte, hatte Schönhof eine Lehrerstelle in Oppenheim am Rhein erhalten. Vom 4. Dezember 1839 bis zum 1. April 1841 hatte diese Stelle jener Salomon Baer versehen, dem dann anschließend die Leitung der Vöhler Schule – zunächst provisorisch – übertragen wurde.

Lehrer Salomon Baer

Ab 1841 - die Ernennungsurkunde des Landesherrn erhielt er im November - war er 40 Jahre lang alleine Lehrer der jüdischen Kinder in Vöhl. Ganze Generationen von Schülern hat er in dieser langen Zeit erlebt. Darüber hinaus hat Baer als Vorsänger und zeitweise als Rechner der jüdischen Gemeinde gewirkt. Als Mitbegründer der Kegelkasinogesellschaft und als Lehrer der Vöhler Beamtenkinder, wenn diese besondere Förderung brauchten, wurde er schnell zu einer der Honoratioren des Ortes. Gebürtig stammte er aus Wimpfen, besuchte die Hochschule und dann das Lehrerseminar in Friedberg. Das evangelische Kirchenbuch berichtet, er habe "die Seminar- und Definitorialprüfung unter glänzenden Zeugnissen" bestanden und nennt ihn einen ausgezeichneten Lehrer; und da der Pfarrer an den regelmäßigen Inspektionen der Schule teil hatte, kann man ihm die nötige Sachkunde für eine solche Wertung durchaus zutrauen.

Baers Frau Minna war eine geborene Liebmann, wahrscheinlich die Schwester des Salomon Liebmann aus Vöhl. Jedenfalls hat zwischen Salomon Liebmann und den Baers eine nachweislich besondere Beziehung geherrscht. Salomon Baer übernahm die Vormundschaft für Liebmanns Sohn Emil, wahrscheinlich weil Emil ein Sohn aus erster Ehe seines Vaters war; und außerdem war es im Jahre 1881 Salomon Liebmann, der Baers frühen Tod dem Standesamt meldete. Möglicherweise war Minna der Grund für Salomon Baer, nach Vöhl zu kommen. Denkbar ist allerdings auch, dass Baer seine künftige Frau erst in Vöhl kennen lernte.

Baer übernahm übrigens weitere Vormundschaften. Als Abraham Kaiser starb und vier Kinder aus zweiter Ehe hinterließ, war er zur Fürsorge bereit. Wie arbeitsaufwändig eine solche Vormundschaft war, mag man daraus ersehen, dass Salomon Baer im Falle des Emil Liebmann - für die anderen Vormundschaften liegen die entsprechenden Dokumente nicht vor - alljährlich einen Bericht abzufassen hatte, in dem er die Entwicklung des Zöglings schilderte. Erst als Emil seine Ausbildung zum Kaufmann in Südhessen beendet hatte, endete Baers Verpflichtung.

Salomon und Minna Baer hatten vier Kinder, von denen eins noch im Kindesalter, der älteste Sohn als ungefähr 20 Jahre alter Mann starb; er war wohl etwas schwächlich gewesen. Baer nahm auch noch seinen sehr viel jüngeren Bruder in seinem Haus auf, als der - eine Ausbildung unterbrechend - krankheitsbedingt nach Vöhl kam, um sich dort zu erholen, dann aber doch einige Jahre blieb, wahrscheinlich seines Bruders Güte ausnutzend.

In Salomon Baers Vöhler erste Vöhler Jahre fiel die große Renovierung des Synagogen- und Schulgebäudes. Wir haben Aufzeichnungen über die verschiedenen Handwerker und Gewerke, die daran beteiligt waren, und wir kennen die entstandenen Kosten. Aber leider wissen wir nicht genau, welche Arbeiten ausgeführt wurden. Aus einem Bericht der Regierung in Gießen geht hervor, dass der Zustand des Gebäudes so schlecht sei, dass es billiger wäre, es abzureißen und neu wieder aufzubauen. Erwähnt wird, dass sich der Boden und die Mauern wegen der Nähe zum Bach gesetzt hätten. Möglicherweise hat man auch damals die Decke des Sakralraumes herausgenommen und die Frauenempore eingerichtet. Zumindest erweckt der ehemalige Synagogenraum den Eindruck, als sei der Raum nicht von Anfang an zweigeschossig gewesen: Balken wirken abgeschnit-ten; das Metallkreuz für den Kronleuchter in der Mitte des Raumes ist offensichtlich auch als Ersatz für vorher dort befindliche Balken eingesetzt worden.

Aus Baers Zeit als Lehrer und Vorsänger stammt eine Auflistung des Eigentums der israelitischen Gemeinde, aus der man auf die Einrichtung auch des Schulzimmers schließen kann. Es gab fünf Bänke, fünf Tische, zwei Wandtafeln und zehn sogenannte Lautier- und Lesetafeln. Im Juli 1847 erließ die großherzoglich-darmstädtische Regierung ein Gesetz über jüdische Schulen. Die Unterrichtssprache sollte Deutsch sein. Ob eine solche Schule eingerichtet würde, sei allein Sache der jüdischen Gemeinde, da die Kinder ja die Möglichkeit hatten, in die allgemeine Schule zu gehen. Allerdings müsse sich die politische Gemeinde an den Kosten beteiligen, wenn sie dies auch bei der anderen Schule getan habe. Verboten war allerdings, dass nichtjüdische Kinder zur jüdischen Schule gingen.

In den 60er Jahren gab es Streit wegen des Hebräisch-Unterrichts. Aufgrund staatlicher Verfügungen war dieser höheren Lehranstalten vorbehalten. Die Vöhler Gemeinde wollte diesen Unterricht für ihre Kinder. Baer wollte dies nicht zum normalen Lohn leisten, sondern für den Unterricht in hebräischer Sprache eine besondere Vergütung.

Ende 1867 kommt es zu einem umfangreicheren Briefwechsel. Selig Frankenthal beschwert sich, dass seine drei die Schule besuchenden Kinder von Baers Sohn Adolph und Baers Mündel Emil Liebmann "mit dem Liniälchen" geschlagen, wenn Baer nicht anwesend sei, was häufig vorkomme. Baer rechtfertigt sich mit Überlastung. Er müsse seit dem Sommer auch in der christlichen Schule unterrichten. Und weil seine Vorsängerdienste bei den hohen Feiertagen im Herbst sehr stark in Anspruch genommen wurden, konnte er nicht alle unterrichtlichen Verpflichtungen erfüllen. Außerdem gab er zu, den Vorstand der jüdischen Gemeinde ein wenig erpressen zu wollen. Der kaputte Ofen sei trotz winterlicher Temperaturen nicht repariert worden, weil der Vorstand das Geld sparen wolle. Und weil nun die Kinder der Vorstandsmitglieder die Schule besuchten, habe er diese wegen der Kälte im Klassenraum nach Hause geschickt - in der Hoffnung, dass dies die Eltern erweichen werde.

Aus 1871/72 liegt ein „Visitationsbericht über die Schule und den Unterricht vor. Oberschulinspektor Meyer aus Höringhausen besuchte zusammen mit Pfarrvikar Saugmeister (?), Schulvorstand Schönthal, Lehrer Sandlos und Amtmann Vorwinkel den Unterricht. Zunächst ging es um Das Gehalt des Lehrers. Bär bekam inklusive einer Alterszulage etwas mehr als 232 Thaler im Jahr; da er auch Privatunterricht erteilte, meinte der Schulinspektor, Bär habe trotz der teuren Lebensverhältnisse ein „genügendes Auskommen“. Nachdem Salomon Baer am 1. Juni 1881 gestorben war, besuchten die jüdischen Schüler Vöhls zunächst die von Lehrer Sandlos geleitete evangelische Schule, und zwar bis zum 1. Februar 1882. Sandlos erhielt hierfür eine Sondergratifikation von 300 Mark.

Die Schule in der Ackerrijje (Haus Arolser Str. 08)

1836 baute Ascher Rothschild das große Haus in der heutigen Arolser Straße, früher "Ackerrijje" genannt. Noch im selben Jahrhundert, aber in einem noch nicht bekannten Jahr zog die jüdische Schule dort ein. Vielleicht geschah dies nach dem Tod Salomon Baers, weil ab diesem Zeitpunkt die Wohnung im Synagogengebäude nicht mehr von den jüdischen Lehrern, sondern bis 1938 von Mitgliedern der Familien Mildenberg bewohnt waren.

Nach Baers Tod reiste Emanuel Katzenstein, der vom Vorstand der jüdischen Gemeinde in Vöhl damit beauftragt war, nach Münster in Westfalen, um sich beim dortigen Seminar nach einem geeigneten Lehrerkandidaten zu erkundigen. Seminardirektor Dr. Steinberg schlug Joseph Laser vor. Katzenstein besuchte Laser am Donnerstag, dem 1. Dezember in dessen Wohnung in Neheim an der Ruhr und lud ihn ein, sofort mit ihm nach Vöhl zu reisen und am folgenden Sabbath Gottesdienst und Vortrag zu halten.  Joseph Laser folgte der Einladung, stellte sich dem Vorstand der jüdischen Gemeinde vor und wurde daraufhin von diesem dem Königlich Preußischen Verwaltungsamt zur Besetzung der Schulstelle vorgeschlagen.[1]

Am 25. Januar 1882 erhielt Laser von der königlichen Regierung in Kassel das Ernennungsdekret als Lehrer und Kantor[2]. Am 1. Februar wurde er durch den Pfarrer und Lokalschulinspektor Sessler (?[3]) ins Amt eingeführt und am 2. Februar durch Bezirksamtmann Engelhard in Vöhl vereidigt.

Am 24. Januar besuchte der Lokalschulinspektor den Unterricht in Religion und Rechnen.

Am 15. Juni kam der Lokalschulinspektor zum zweiten Mal in den Unterricht und teilte bei dieser Gelegenheit mit, dass der Lehrer nicht berechtigt sei, über den planmäßigen Unterricht hinaus Unterrichtsstunden anzubieten.

Am 5. Juli von 8 bis 11 Uhr erfolgte die erste richtige Schulprüfung durch den Lokalschulinspektor, der seine volle Zufriedenheit zum Ausdruck brachte; eine Nachprüfung durch den Oberschulinspektor Meyer aus Höringhausen fand am 10. Juli statt.

Am 18. Juli „schlag sieben Uhr“ überprüfte der Lokalschulinspektor den pünktlichen Unterrichtsbeginn. Exakt eine Woche später kontrollierte er die Führung der Schulchronik und informierte über den Beginn der 14tägigen Sommerferien am 7. August und am 15. November prüfte der die Schülerleistungen im Lesen und stellte deutliche Verbesserungen bei schwächeren Schülern fest. Außerdem warnte er davor, die Hessische Schulzeitung zu lesen. Er begründete dies mit einem Artikel in der Ausgabe 39/1882, in dem auch die geistliche Schulinspektion angegriffen worden sei.[4]

Die Chronik berichtet von sehr vielen Inspektionen, die jedoch in aller Regel zufriedenstellend ausfielen. Fast jedes Jahr berichtete Laser, wer zu Ostern in die Schule neu aufgenommen wurde, und wer sie verließ. Die Leser erfahren auch einiges über das örtliche Leben. Laser berichtete z.B. über Epidemien, denen Kinder – auch eigene – zum Opfer fielen.

1882

Am 25. Januar 1882 erhielt Laser von der königlichen Regierung in Kassel das Ernennungsdekret als Lehrer und Kantor. Am 1. Februar wurde er durch den Pfarrer und Lokalschulinspektor Sessler? ins Amt eingeführt und am 2. Februar durch Bezirksamtmann Engelhard in Vöhl vereidigt.

Am 24. Januar besuchte der Lokalschulinspektor den Unterricht in Religion und Rechnen.

Am 15. Juni besuchte der Lokalschulinspektor zum zweiten Mal den Unterricht und teilte bei dieser Gelegenheit mit, dass der Lehrer nicht berechtigt sei, über den planmäßigen Unterricht hinaus Unterrichtsstunden anzubieten.

Am 5. Juli von 8 bis 11 uhr erfolgte die erste richtige Schulprüfung durch den Lokalschulinspektor, der seine volle Zufriedenheit zum Ausdruck brachte.

Am 10. Juli erfolgte eine Nachprüfung durhc den Oberschulinspektor Meyer aus Höringhausen.

Am 18. Juli „schlag sieben Uhr“ überprüfte der Lokalschulinspektor den pünktlichen Unterrichtsbeginn.

Am 25. Juli kontrollierte der Lokalschulinspektor die Führung der Schulchronik und informierte über den Beginn der 14tägigen Sommerferien am 7. August.

Am 15. November prüfte der Lokalschulinspektor die Schülerleistungen im Lesen und stellte deutliche Verbesserungen bei schwächeren Schülern fest. Außerdem warnte er davor, die Hessische Schulzeitung zu lesen. Er begründet dies mit einem Artikel in der Ausgabe 39/1882, in dem auch die geistliche Schulinspektion angegriffen worden sei.[5]

1883

Am 26.1. meldet er beim Standesamt die am 19.1. erfolgte Geburt seiner Tochter Mathilde Emilie an.

Am 17. April führte Pfarrer Pflug als neuer Lokalschulinspektor seine erste Schulprüfung durch.[6]

1884

Am 8. Juli gab es wieder eine Inspektion durch Pfarrer Pflug in der Schule, am 15. Juli kam Oberschulinspektor und Dekan Meyer aus Höringhausen und äußerte sich zufrieden über die Leistungen der Schüler.[7]

1885

Am Sonntag, dem 8. März, brach unter den Kindern des Lehrers die Diphterie aus. Auf Grund einer entsprechenden Verordnung des Königlichen Verwaltungsamtes fiel der Unterricht bis zum 13. April aus.[8]

Am 1. Oktober – während der Herbstferien – gab es in Vöhl eine Keuchhusten-Epidemie, an der auch alle Schulkinder erkrankten. Erst am Montag, dem 23. November, konnte der Unterricht wieder aufgenommen werden. Laser schreibt in der Chronik, dass während des ganzen Schuljahres bis zum Frühjahr 1886 die Kinder immer wieder an Keuchhusten erkrankten und der Unterricht darunter sehr litt.[9]

1886

Am Donnerstag, dem 15. Juli, erfolgte eine Vorprüfung durch Pfarrer Pflug, am 19. Juli kam wieder Oberschulinspektor Meyer, der sich anschließend zufrieden äußerte.

Im Sommer des Jahres wurde die Südseite des Schulgebäudes völlig renoviert. In dieser Zeit fand der Unterricht in der Synagoge statt.[10]

1888

Am Dienstag, dem 18. September, fand die Schulinspektion durch Dekan Meyer statt. Dieser äußerte sich wieder zufrieden.[11]

1889

Um Weihnachten gab es in ganz Europa eine Influenza-Epidemie, an der auch in Vöhl zahlreiche Kinder erkrankten. Darüber hinaus gab es Fälle von weiteren Kinderkrankheiten, insbesondere von Masern. Sieben Wochen lang blieb die Schule daher geschlossen.[12]

1890

Im September 1890 erkrankten Familienmitglieder an Diphterie. Die Herbstferien wurden deshalb um einige Tage verlängert.[13]

Joseph Laser war der erste, von dem wir wissen, dass er in dem neuen Gebäude wohnte. Viele Jahre wirkte er an der Schule. Laser stammte aus Hattenbach bei Trier und kam mit seiner Frau und einem Sohn nach Vöhl. Seine Frau hatte mehrere Fehlgeburten und starb 1885 nach einer Geburt. Laser heiratete ein zweites Mal, und jedes zweite Jahr gebar seine Frau ihm ein Kind. Er starb als 58-Jähriger im Jahr 1906, gerade als er einen Toast anlässlich der Verlobung einer der Töchter Abraham Blums aussprechen wollte, an Herzversagen. Über seine Beerdigung wird in der Corbacher Zeitung ausführlich berichtet. Die jüdische Gemeinde formulierte einen Nachruf für den Lehrer, der sein Amt fast 25 Jahre lang versehen hatte. Seine Leistungen als Lehrer und Vorsänger wurden gewürdigt, der Frankenberger jüdische Lehrer Plaut hielt die Trauerrede, auch der evangelische Pfarrer Kahler sprach als Schulinspektor Worte des Gedenkens; Lehrer Hecker als Vorsitzender des Bezirksvereins (wahrscheinlich ein Verein der Lehrer) legte einen Kranz nieder. Auch Vöhler Würdenträger nahmen an der Trauerfeier teil. In die Zeit des Lehrers Laser fiel ein Streit mit der politischen Gemeinde um die Finanzierung. Gesetzlich war geregelt, dass die Gemeinde die jüdische Schule bezuschussen musste, wenn sie auch die christliche unterstützte. Gleichzeitig galt aber eine Mindestzahl von 12 Schülern, während es im Jahr 1909 nur 8 jüdische Kinder gab, die die Elementarschule besuchten. Die Gemeinde wollte den Zuschuss von 200 RM nicht mehr bezahlen. Die vorgesetzte Behörde allerdings verlangte die Weiterzahlung der Gebühren. Joseph Laser begann eine Schulchronik zu schreiben, die seine Nachfolger bis ins Jahr 1920 fortsetzten. Diese Chronik befindet sich heute in den Central Archives of Jewish History. Wahrscheinlich ist sie zusammen mit mehreren anderen Büchern der jüdischen Gemeinde Vöhl in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft dorthin gelangt. Diese Chronik – von Lehrer Louis Meyer später fortgeführt – gibt einen guten Einblick nicht nur in den Schulalltag, sondern sie informiert auch über andere Aspekte des öffentlichen Lebens in Vöhl. Im Jahr 2006 nahm ein Urenkel Joseph Lasers Kontakt mit dem Verfasser dieser Zeilen auf. Durch die Website des Förderkreises war er aufmerksam geworden. Er informierte über das Schicksal seiner Familie, nachdem sie von Vöhl weggezogen war. Sein Großvater Leopold, der in Vöhl als jüngstes Kind der ersten Frau Joseph Lasers geboren worden war, hatte eine Kaufmannsausbildung im Westfälischen gemacht. Er heiratete, seine Frau bekam drei Kinder; Anfang März 1943 wurde das Ehepaar mit dem jüngsten Sohn nach Auschwitz deportiert und umgebracht. Kurt, der älteste Sohn, war nach der Reichspogromnacht im KZ Dachau interniert. Nach seiner Freilassung emigrierte er nach Schweden, wo er bis zu seinem Tod lebte. Leopolds Tochter Karla floh 1936 als 16-Jährige mit Unterstützung einer jüdischen Jugendorganisation nach Palästina. Sie heiratete, bekam eine Tochter und einen Sohn, und 1958 zog das Ehepaar mit dem Sohn nach Deutschland, wo die Familie zunächst in Frankfurt, nach dem Tod des Vaters in Hamburg lebte. Eine weitere Urenkelin Lasers, und zwar eine Stiefenkelin seiner Tochter Johanna, wendete sich im Mai 2010 an den Verfasser und informierte ihn über ihre Großeltern. Vor allem sandte sie ein Bild des Grabsteins ihres Urgroßvaters, des Lehrers Joseph Laser, das uns bisher den einzigen fotografischen Nachweis für den zwischen 1904 und 1911 durch Spendengelder finanzierten neuen Zaun um den jüdischen Friedhof zeigt.

[1] Quelle: The Jewish Historical Archives, Jerusalem , 8273/3 (Schulchronik, in diesen Passagen von Laser selbst geschrieben)

[2] Lehrer Bär war noch von der Regierung in Gießen eingestellt worden; für Laser war nun Kassel zuständig. Diese Änderung hing mit dem politischen Wandel zusammen, den es in der Zwischenzeit für Vöhl gegeben hatte. Bis 1866 gehörte der Kreis Vöhl mit seinen ungefähr 20 Dörfern zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Im Krieg zwischen Preußen und Österreich in jenem Jahr hatte Hessen-Darmstadt Österreich unterstützt. Nach dem Sieg Preußens musste Hessen-Darmstadt den Kreis Vöhl an den Sieger abtreten. Vöhl wurde nun dem preußischen Landkreis Frankenberg zugeschlagen wurde, wahrte für 20 Jahre allerdings als „Amt Vöhl“ noch eine gewisse Selbstständigkeit in einigen Angelegenheiten.

[3] Der Name kann nicht eindeutig identifiziert werden. Auch eine an sich vollständige Liste der Vöhler Pfarrer seit der Reformation nennt für das Jahr 1882 keinen Namen. Möglicherweise war die Stelle vakant und wurde von einem Pfarrer aus einer Nachbargemeinde mit betreut.

[4] Paul Arnsberg schreibt in „Die jüd. Gemeinden in Hessen“, Laser sei seit 1885 Lehrer an der jüdischen Schule gewesen, davon bis 1895 provisorisch, dann endgültig. Die Schulchronik belegt, dass dies nicht richtig ist. Laser war damit Nachfolger des im Juni 1881 verstorbenen Salomon Bär. Zwischen dem Tod Salomon Bärs und dem Dienstantritt Joseph Lasers am 1. Februar 1882 wurden die jüdischen Kinder in der evangelischen Schule durch Lehrer Sandlos unterrichtet, der dafür laut „Verfügung Kngl. Regierung für Schul- und Kirchenwesen zu Kassel eine Gratifikation von drei Hundert Mark erhielt“. (Quelle. Schulchronik, The Jewish Historical Archives, Jerusalem , 8273/3)

[5] Paul Arnsberg schreibt in „Die jüd. Gemeinden in Hessen“, Laser sei seit 1885 Lehrer an der jüdischen Schule gewesen, davon bis 1895 provisorisch, dann endgültig. Die Schulchronik belegt, dass dies nicht richtig ist. Laser war damit Nachfolger des im Juni 1881 verstorbenen Salomon Bär. Zwischen dem Tod Salomon Bärs und dem Dienstantritt Joseph Lasers am 1. Februar 1882 wurden die jüdischen Kinder in der evangelischen Schule durch Lehrer Sandlos unterrichtet, der dafür laut „Verfügung Kngl. Regierung für Schul- und Kirchenwesen zu Kassel eine Gratifikation von drei Hundert Mark erhielt“. (Quelle. Schulchronik, The Jewish Historical Archives, Jerusalem , 8273/3)

6] Quelle. Schulchronik, The Jewish Historical Archives, Jerusalem , 8273/3

[7] Quelle. Schulchronik, The Jewish Historical Archives, Jerusalem , 8273/3

[8] Quelle. Schulchronik, The Jewish Historical Archives, Jerusalem , 8273/3

[9] Quelle. Schulchronik, The Jewish Historical Archives, Jerusalem , 8273/3

[10] Quelle. Schulchronik, The Jewish Historical Archives, Jerusalem , 8273/3

[11] Quelle. Schulchronik, The Jewish Historical Archives, Jerusalem , 8273/3

[12] Quelle. Schulchronik, The Jewish Historical Archives, Jerusalem , 8273/3

[13] Quelle. Schulchronik, The Jewish Historical Archives, Jerusalem , 8273/3

In Korbacher Schulen

Wie bereits erwähnt, gingen mehrere Söhne jüdischer Vöhler Eltern ins Korba-cher Gymnasium. Aus dem vorigen Jahrhundert bereits sind uns eine ganze Rei-he von Juden aus der Religionsgemeinde bekannt, die dort einige Jahre beschult wurden und nach dem "Einjährigen" oder nach dem Abitur abgegangen sind. Dazu gehörte zum Beispiel der Basdorfer Leopold Külsheimer, Sohn von Ben-dix Külsheimer. Ebenso wie Hermann Schönthal, Sohn des aus Basdorf stam-menden Vöhler Horndrehers Emanuel Schönthal, gehörte sogar zu den Spröss-lingen ärmerer Familien, die sich für ihren Sohn eine höhere Schulbildung leis-teten. Bernhard Frankenthal, Albert Katzenstein, fast alle männlichen Roth-schilds, Ferdinand Kaiser oder Louis Blum besuchten die Korbacher Eliteanstalt. Mehrere von Ihnen blieben nur einige Jahre dort, um dann andernorts den Bildungsgang fortzusetzen; andere gingen vorzeitig, um eine kaufmännische Ausbildung zu beginnen. Das Abitur scheint nicht immer unbedingt das Ziel gewesen zu sein. Erna Katzenstein (Mainz) oder die Kinder Ferdinand Kaisers (Marburg) besuchten höhere Schulen außerhalb der Region.

Im ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik

Ab 1910 wirkte Louis Meyer als Lehrer in der jüdischen Schule, und zwar bis zu deren Ende im Jahr 1925. In den ersten Jahren (1912, 1915) erscheint er mehrmals auf Spendenlisten der jüdischen Gemeinde zugunsten der Verschönerung der Synagoge.[1]

1914

April: Meyer wird endgültig als Volksschullehrer eingestellt. Die Synagogengemeinde bezahlt sein Diensteinkommen.

Auf Anfrage der Kreisschulbehörde antwortet Frankenberg, dass Meyer auch schächten[2] kann, es aber nicht tut, weil die Vöhler Metzger das selber können.

Bei Kriegsausbruch Anfang August 1914 wird die jüdische Schule aufgelöst bzw. mit der evangelischen Schule vereinigt, der zweite Lehrer (Jonas) eingezogen und Meyer als 2. Lehrer in der evangelischen Schule eingestellt. Er und sein Kollege müssen an 2 Wochentagen in Obernburg unterrichten.

1915

Meyer wird im November 1915 eingezogen (Landsturm mit Waffen).

1919

Als er  im Februar 1919 wieder zurückkommt, wird er im Februar wieder als 2. Lehrer der evang. Schule beschäftigt und bezahlt; ab März werden evangelische und jüdische Schule wieder getrennt.

  1. Juni: Meyer vollzieht die kirchliche Trauung von Hugo Davidsohn und Ida, geb. Frankenthal.

Am 10. November wird er beurlaubt, die 5 jüdischen Schülerinnen und Schüler kommen in die evangelische Schule.

1920

Lehrer Meyer hat wegen der geringen Kinderzahl Schwierigkeiten, den Elternbeirat satzungsgemäß wählen zu lassen. Die Schulbehörde in Frankenberg signalisiert im Februar, dass kein Einspruch erhoben wird, wenn auch Mütter gewählt werden, zumal dies nach der Wahlordnung ohnehin möglich sei.

Einer seiner Söhne braucht eine 8tägige Solbadkur. Meyer beantragt bei Schulinspektor Brohmer in Frankenberg für den Sohn und für 2-3 Tage auch für sich selbst Urlaub, damit er den Sohn nach Sassendorf begleiten kann. Dem Antrag wird entsprochen.[3]

1921

Das „Diensteinkommen des Inhabers der mit Kultusdienst verbundenen Lehrerstelle in Vöhl” beträgt 1000 Mark.

Lehrer Meyer hat 5 Schüler, einen Knaben und vier Mädchen.

Das Einkommen des Lehrers:

das Anfangsgrundgehalt                                                       21700 M

der Ortszuschlag                                                                     2400 M

der Ausgleichszuschlag einschließlich Notzuschlag               4820 M

Wert der Dienstwohnung                                                         175 M

Wert des Hausgartens                                                                5 M[4]

1922

  1. Juni: Der Landkreis Frankenberg teilt dem Vorstand der jüdischen Gemeinde mit, der Lehrer sei nicht mehr verpflichtet, das Kultamt zu versehen. Die Schulbehörde des Kreises fragt an, wie viel Schulkinder in den nächsten 5 Jahren zu erwarten seien.

Die Aufstellung von Lehrer Meyer:

1922 – 6 Kinder, 3 davon sind seine Kinder; 1923 und 1924 dasselbe; 1925 5 Kinder, 1926 4 Kinder; drei davon sind Kinder des Lehrers; eine erste Neu-Einschulung sei erst wieder für 1927 zu erwarten[5].

Die Zahl der Vöhler Juden wurde immer geringer, und damit sank natürlich auch die Zahl der schulpflichtigen Kinder. Im ersten Weltkrieg legte man die jüdische mit der christlichen Schule vorübergehend zusammen, da sowohl einer der Lehrer der christlichen Schule wie auch der jüdische Lehrer Julius Flörsheim eingezogen wurden. Nach dem Krieg trennte man sie wieder. Flörsheim bekam ein Angebot von einer Frankfurter Schule und verließ Vöhl. Meyer blieb, doch hatte er fast überwiegend seine eigenen Kinder zu unterrichten Die vorliegenden Quellen stellen Louis Meyer als einen schwer zu charakterisierenden Menschen dar. Einerseits scheint er ein Mensch gewesen zu sein, der mit Anderen nicht immer gut klar kam. Andererseits war er ein sehr politischer Mensch, der sich besonders in der Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten hervor tat. Während seiner Vöhler Jahre ist allerdings von einer politischen Betätigung nichts bekannt. Die Auswirkungen eines Konflikts mit der alten Karoline Rothschild, die nach dem Tod ihres Mannes Moritz wohl in das Geburtshaus ihres Mannes zurückgezogen ist, wurden sogar Gegenstand der Berichterstattung in der Corbacher Zeitung. Dort wird berichtet, dass die Witwe Rothschild über Nacht ein Fass mit frisch gewaschener Wäsche draußen stehen gelassen hatte. Und als sie die Sachen am nächsten Morgen wieder hereinholen wollte, musste sie entsetzt feststellen, dass jemand die Wäsche mit Anilintinte verdorben hatte. Die gute Kochwäsche war blau geworden. Die Zeitung beklagte die rüden Sitten und fragte, wer denn einer alten Frau so etwas antun konnte. Für Richard Rothschild, den Enkel der alten Dame, war der Verursacher absolut klar, als ihm 1999 von diesem Vorfall berichtet wurde. "Das war Lehrer Meyer", sagte er; Meyer sei mit niemandem klar gekommen, auch nicht mit seiner Familie.

Und tatsächlich wissen wir heute, dass Meyer wohl ein Eigenbrötler war, dem es sehr schwer fiel, engere Beziehungen zu anderen aufzunehmen. 1925 wechselte er als Lehrer nach Korbach, trat dort aus der jüdischen Gemeinde aus, überlebte den Holocaust wahrscheinlich in Ostdeutschland, wechselte dann wieder in den jüdischen Glauben zurück. Frau und Kinder hatten ihn verlassen; sie ging nach Israel, die Kinder waren in Amerika. Und so starb Louis Meyer sehr einsam als alter Mann in den 70er Jahren in Köln.

Hier sei allerdings angemerkt, dass Meyer wie schon seine Vorgänger auch rituelle Aufgaben in der Religionsgemeinde wahrnahm. So traute er z.B. auch Ida und Hugo Davidsohn. In den 20er Jahren allerdings war es nicht mehr möglich, die jüdischen Lehrer zur Mitwirkung an den Gottesdiensten zu veranlassen. 1921 erhielt der Lehrer, der auch Kultusdienste in der Synagoge versah, 1000 Reichsmark.

[1] Quelle: Bestand 1,75 A Vöhl im Archiv der Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“

[2] Schlachten nach jüdischem Ritus.

[3] Quelle: The Central Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem

[4] Diese Angaben macht Meyer selbst auf einem Formular der preußischen Regierung. Quelle: The Central Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem

[5] Mit dem 1927 einzuschulenden Kind müsste der 1921 geborene Walter Mildenberg gemeint sein.

Unterricht für jüdische Kinder im Dritten Reich

Welche Vöhler jüdische Kinder waren ab 1933 noch schulpflichtig? Da war zunächst die jüngste der Töchter von Hermann Mildenberg, Charlotte. Dann waren da die 1920 bzw. 1924 geborenen Walter und Ursula Mildenberg. Sowohl Charlotte als auch Walter Mildenberg beendeten die Schule bereits im zweiten Jahr nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Ursula Mildenberg erzählte, dass Walter als von den Lehrern als auch von den Alterskameraden anerkannter Sportler in der Schule keine Schwierigkeiten hatte. Seine Kusine Charlotte folgte nach Schulabschluss dem Beispiel ihrer Schwestern und ging ins Ausland, um dort im Haushalt zu arbeiten. Walter absolvierte außerhalb Vöhls - traditionsgemäß - seine Ausbildung als Metzger.

Mitte der 30er Jahre war Ursula Mildenberg die einzige jüdische Schülerin in der Schule auf dem Schulberg. Sie berichtet, dass sie an diese Zeit fast nur schlimme Erinnerungen hat. Sie sei sehr gehänselt, mal des Diebstahls beschuldigt, durchaus auch mal geschlagen worden. Besonders schlimm sei es gewesen, wenn die nichtjüdischen Altersgenossen in der ersten Stunde Rassenkunde hatten und sie dann in der zweiten Stunde dazukam. In den Pausen sei sie dann nicht in Schule oder auf Pausenhof geblieben, sondern habe sich in den Frankenthalschen Häusern aufgehalten. Die Lehrer hätten sich kaum um sie gekümmert; sie habe nur wenig gelernt. Ende 1937 emigrierte sie mit ihren Eltern über Frankfurt, wo sie die Großmutter bei Verwandten zurückließen, in die USA.

Für den nun erst sechsjährigen Günther Sternberg, das jüngste jüdische Kind in Vöhl, bedeutete dies, dass er nun in die Schule nach Frankfurt musste. Israel Strauß, ein wenig älter als Günther und aus Altenlotheim stammend, berichtete in einem Brief vor einigen Wochen, dass er zusammen mit Günther Sternberg die jüdische Philanthropie-Schule in Frankfurt besuchte. Gewohnt hätten sie zunächst in einem jüdischen Kinderheim der Flörsheim-Sickel-Stiftung. Er und Günther seien zwar nicht in dieselbe Klasse gegangen und hätten auch nicht im selben Zimmer geschlafen, aber sie hätten oft zusammen gespielt und seien in den Ferien immer zusammen nach Hause gefahren, er bis Schmittlotheim und Günther weiter bis nach Herzhausen. Nach den Sommerferien im Jahre 1940 hätten sie in das jüdische Waisenhaus umziehen müssen, da das Kinderheim beschlagnahmt worden war. Seiner Erinnerung nach im Oktober 1941 wurden einige Kinder, darunter auch er und Günther Sternberg, zu den Eltern geschickt, um nach Osten abtransportiert zu werden. Israel Strauß wurde mit seiner Familie im Dezember 1941 ins Ghetto von Riga verbracht. Zu diesem Transport hätten auch einige weitere Kinder der Philanthropie-Schule gehört, doch Günther sei nicht dabei gewesen.

Wie wir wissen, wurden - allerdings einige Monate später - auch Günther Sternberg und nach Zeugenberichten einen Tag später auch seine Eltern zunächst nach Wrexen und von dort nach Osten deportiert. Günther Sternberg und seine Mutter wurden wahrscheinlich Anfang Juni 1942 in Sobibor vergast, während der Vater im KZ Majdanek Zwangsarbeit leisten musste und im September desselben Jahres starb.

Im Mai 2005 fanden wir in einem Archiv in Jerusalem eine Schulchronik und Unterrichtsaufzeichnungen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Diese Dokumente sind noch nicht fertig ausgewertet. Nachdem dies geschehen ist, können wir diesen Aufsatz sicherlich um einige interessante Kapitel erweitern.

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