Wal­deck-Fran­ken­berg – In Er­in­ne­rung an den Tag der Be­frei­ung des NS-Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers Ausch­witz am 27. Ja­nu­ar 1945 ge­denkt der Deut­sche Bun­des­tag heu­te ab 10 Uhr im Ple­nar­saal der Op­fer des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Im be­son­de­ren Blick­punkt ste­hen da­bei in die­sem Jahr Men­schen, die auf­grund ih­rer se­xu­el­len Ori­en­tie­rung oder ge­schlecht­li­chen Iden­ti­tät im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ver­folgt wur­den.

Zu den ins­ge­samt sechs Mil­lio­nen Er­mor­de­ten, an die der In­ter­na­tio­na­le Ho­lo­caust­ge­denk­tag er­in­nert, ge­hö­ren auch mehr als 800 Ju­den, Sin­ti, Be­hin­der­te und po­li­tisch An­ders­den­ken­de al­lein aus Städ­ten und Ge­mein­den des heu­ti­gen Land­krei­ses Wal­deck-Fran­ken­berg, et­wa 155 von ih­nen ka­men im Ver­nich­tungs­la­ger Ausch­witz um. Auch ih­rer wird heu­te im Land­kreis ge­dacht, so ab 18 Uhr in der al­ten Syn­ago­ge Vöhl, wo Schü­ler der Eder­see­schu­le Herz­hau­sen über das Ghet­to The­re­si­en­stadt be­rich­ten. Ab 17 Uhr wer­den dort „Lich­ter ge­gen die Dun­kel­heit“ leuch­ten.

Mit Ver­an­stal­tun­gen, Aus­stel­lun­gen, Buch­pu­bli­ka­tio­nen, ver­leg­ten Stol­per­stei­nen, Mahn­or­ten, Ge­denk­por­ta­len im In­ter­net und Kon­tak­ten zu Nach­fah­ren der Op­fer von deut­scher Ge­walt­herr­schaft hat sich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren in un­se­rem Kreis ei­ne breit in der Be­völ­ke­rung ver­an­ker­te Ge­denk­kul­tur ent­wi­ckelt. Da­bei gilt be­son­de­re Auf­merk­sam­keit den ver­trie­be­nen und er­mor­de­ten jü­di­schen Bür­gern, die Jahr­hun­der­te lang christ­lich-jü­di­sches Zu­sam­men­le­ben, Ge­sell­schaft und Kul­tur mit­ge­stal­tet ha­ben. Die Bar­ba­rei des in un­se­rer Re­gi­on länd­lich ge­präg­ten NS-Fa­schis­mus, aus­ge­führt von gro­ben SA-Braun­hem­den oder Schreib­tisch-Tä­tern, er­fass­te da­ne­ben aber auch Min­der­hei­ten, an die sel­te­ner ge­dacht wird.

Das vom NS-Re­gime schon 1933 er­las­se­ne „Ge­setz zur Ver­hü­tung erb­kran­ken Nach­wuch­ses“ fand auf un­te­rer Ebe­ne der Ge­sund­heits­äm­ter in sys­tem­treu­en Me­di­zi­nern will­fäh­ri­ge Voll­stre­cker. Un­ter dem Buch­ti­tel „Erb­bio­lo­gi­sche Se­lek­ti­on in Kor­bach 1933-1945“ leg­te da­zu 2014 Dr. Ma­ri­on Li­li­en­thal ei­ne um­fang­rei­che Stu­die mit er­schre­cken­den Er­geb­nis­sen vor: 45 Ein­woh­ner al­lein der Stadt Kor­bach wur­den auf­grund des Ge­set­zes zwangs­ste­ri­li­siert, 27 ju­gend­li­che und er­wach­se­ne Bür­ger und Pa­ti­en­ten fie­len der NS-„Eu­tha­na­sie“ zum Op­fer.

Ge­fürch­tet war, wie Zeit­zeu­gen be­rich­te­ten, der Fran­ken­ber­ger Me­di­zi­nal­rat Dr. Kurt Pe­ters, der sie als An­ge­hö­ri­ge kin­der­rei­cher Fa­mi­li­en ein­be­stell­te und „un­ter­such­te“. Er ord­ne­te Ste­ri­li­sie­run­gen nicht nur an, son­dern ent­schied auch dar­über als Mit­glied des „Erb­ge­sund­heits­ge­richts“. Im De­zem­ber 1939 schlug er ei­ne so­zi­al­schwa­che („aso­zia­le“) Vöh­ler Fa­mi­lie zur Un­ter­brin­gung in ei­nem La­ger, „evtl. KZ“, vor.

Ei­ne durch das Le­bens­hil­fe­werk Wal­deck-Fran­ken­berg 2009 an­ge­sto­ße­ne For­schungs­in­itia­ti­ve er­mit­tel­te, dass in den Krei­sen Wal­deck und Fran­ken­berg ins­ge­samt 500 Bür­ger dem NS-Mas­sen­mord an Kran­ken und Be­hin­der­ten, zy­nisch „Eu­tha­na­sie“ ge­nannt, zum Op­fer fie­len.

Be­hin­der­te ver­schwan­den plötz­lich aus dem Dorf­bild oder wur­den sys­te­ma­tisch aus An­stal­ten wie He­phata oder Hai­na de­por­tiert. An mehr als 400 der Tö­tung preis­ge­ge­be­ne Pa­ti­en­ten er­in­nert heu­te ei­ne Mahn- und Ge­denk­stät­te auf dem Fried­hof Hai­na.

Der so­ge­nann­te „Ausch­witz-Er­lass“ des SS-Reichs­füh­rers Hein­rich Himm­ler vom 16. De­zem­ber 1942 ord­ne­te nach lan­ger Ver­fol­gung die völ­li­ge Ver­nich­tung der im Deut­schen Reich le­ben­den et­wa 500 000 Sin­ti und Ro­ma an. Zu de­nen, die im „Zi­geu­ner­la­ger“ Ausch­witz-Bir­ken­au und an­de­ren Or­ten er­mor­det wur­den, ge­hö­ren bei­spiels­wei­se al­lein aus der Sied­lung Krö­ge, wie Arnd Bött­cher auf sei­nem Bat­ten­berg-Ge­denk­por­tal nach­weist, zwölf An­ge­hö­ri­ge der Fa­mi­lie Klein.