Vöhl – Ihm feh­len nur sel­ten die Wor­te, sagt Wil­liam Roth. Doch was er von sei­ner Rei­se nach Vöhl er­war­tet, das kön­ne er schwer in Wor­te fas­sen. Der 80-Jäh­ri­ge über­legt, und dann er­zählt er doch aus­führ­lich dar­über, was ihn an­treibt. Der Ame­ri­ka­ner, der in Bang­kok lebt, will sei­ne ei­ge­ne Ge­schich­te ken­nen­ler­nen. Wis­sen, wo­her er kommt.

„Es ist et­was Er­fül­len­des, zu ler­nen, wo­her du stammst“, sagt Wil­liam Roth. Bis sei­ne Nich­te Eli­sa­beth Foo­te sich mit der Fa­mi­li­en­ge­schich­te be­fass­te, hat­te Wil­liam Roth so gut wie nichts über den Stamm­baum sei­nes Va­ters ge­wusst. Schon Wil­liams Schwes­ter re­cher­chier­te da­zu, und der Va­ter woll­te es nicht wahr­ha­ben – dass sei­ne Vor­fah­ren Ju­den wa­ren.

Wil­liam Roth wuchs in Ka­li­for­ni­en bei Los An­ge­les auf. „Ich war nie wirk­lich an Ah­nen­for­schung in­ter­es­siert.“ Sei­ne Mut­ter stamm­te aus New Or­leans und war Chris­tin. Sein Gro­ßva­ter vä­ter­li­cher­seits aber, Ed­ward Ot­to Roth, war ein Ma­ler, der sei­nen Nach­na­men ab­kürz­te. „Er starb, be­vor ich ge­bo­ren wur­de. Mein Va­ter sprach nicht viel über sei­ne El­tern“, sagt Wil­liam Roth. „Es gab kei­ne In­for­ma­tio­nen. Es hieß im­mer, dass im Zwei­ten Welt­krieg al­le Do­ku­men­te zer­stört wor­den sei­en.“ Nun sei es „auf­re­gend zu se­hen“, wo­her er ei­gent­lich stammt.

Wil­liams Ur­gro­ßva­ter war der Vöh­ler Ju­de Abra­ham Roth­schild (1829 bis 1921), der nach sei­ner Kon­ver­si­on zum christ­li­chen Glau­ben den Na­men Adolph an­nahm und mit sei­ner Fa­mi­lie im Jahr 1866 in die USA aus­wan­der­te. „Ich weiß nicht viel über das Ju­den­tum“, sagt Wil­liam Roth, als er mit Karl-Heinz Stadt­ler in der al­ten Syn­ago­ge in Vöhl sitzt und auf Eng­lisch er­zählt. Er gibt sich ehr­fürch­tig an­ge­sichts die­ses Rau­mes, der für die Gläu­bi­gen ein hei­li­ger Ort war. „Ich fin­de es be­mer­kens­wert, dass Nicht-Ju­den die­sen Ort mit viel Auf­wand er­hal­ten“, sagt er über Eh­ren­amt­li­che des För­der­krei­ses Syn­ago­ge.

Nun hat es den Kos­mo­po­li­ten ins klei­ne Vöhl ver­schla­gen. Den Ju­ris­ten, der auch im Ru­he­stand noch als Do­zent in Bang­kok tä­tig ist. Für den im Al­ter die Er­fah­run­gen aus sei­ner Kind­heit prä­sent wer­den. „Mei­nen Va­ter wür­de ich als eher an­ti­se­mi­tisch be­zeich­nen“, sagt er re­flek­tiert. Mit Vor­ur­tei­len ge­gen­über Ju­den wuchs er auf. An­de­rer­seits er­leb­te er als Jun­ge ei­ne Of­fen­heit im Gro­ß­raum von Los An­ge­les, die sei­nen Wor­ten zu­fol­ge in den 50er Jah­ren ein­ma­lig war. „Der Wes­ten der USA war lan­ge der ein­zi­ge Ort der Welt, wo die meis­ten Ein­woh­ner nicht dort ge­bo­ren wa­ren.“

Die­se Viel­falt brach­te Fort­schritt und In­no­va­tio­nen. Es gab kei­ne Kon­ven­tio­nen, sagt Wil­liam Roth. „Al­le muss­ten ver­han­deln, wie man sich ver­hält. Wir ha­ben un­se­re Re­geln selbst ge­macht. Wir wa­ren dar­an ge­wöhnt, Neu­es zu tun.“ Da­her rühr­te al­ler­dings ein Ge­fühl der Un­ver­bind­lich­keit. Es spiel­te kei­ne Rol­le, wo­her man kam. „Ich hat­te kei­ne Wur­zeln“, sagt Wil­liam Roth.

Ich hat­te kei­ne jü­di­sche Iden­ti­tät.

Wil­liam Roth

An frü­he­ren Häu­sern von Vöh­ler Ju­den scannt Wil­liam Roth je­weils den QR-Code, der ihn zu schrift­li­chen In­for­ma­tio­nen über die jü­di­schen Fa­mi­li­en so­wie zu Bil­dern im In­ter­net lei­tet. Über die Web­sei­te der Vöh­ler Syn­ago­ge sind die Na­men der Ju­den zu fin­den, die bis zum Zwei­ten Welt­krieg in Vöhl ge­lebt hat­ten. Auch der Stamm­baum der Fa­mi­lie von Adolph (Abra­ham) Roth­schild ist dort auf­ge­zeigt, Wil­liam Roths Ur­gro­ßva­ter.

Am jü­di­schen Fried­hof be­sucht Wil­liam Roth die Grab­stei­ne der­je­ni­gen mit dem Na­men Roth­schild, die noch er­hal­ten sind. Un­ter dem Re­gime der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten war der Fried­hof ein­ge­eb­net wor­den.

Nach dem Krieg ver­an­lass­ten die ame­ri­ka­ni­schen Be­sat­zer, dass im­mer­hin 46 Grab­stei­ne wie­der auf­ge­stellt wur­den, so be­rich­tet es Karl-Heinz Stadt­ler. 160 Ju­den müss­ten dort sei­nen An­ga­ben zu­fol­ge be­er­digt sein.

„Ich hat­te kei­ne jü­di­sche Iden­ti­tät“, sagt Wil­liam Roth. „Nun her­aus­zu­fin­den, jü­di­sche Vor­fah­ren zu ha­ben, ist sehr be­deut­sam für mich. Jetzt schlie­ßt sich ein Kreis.“