11.7.2016, Holocaust-Überlebende Dagmar Lieblová

Holocaust-Überlebende Dagmar Lieblová berichtet bei Auschwitz-Veranstaltungsreihe in der Synagoge

„Wissen Sie, ich bin Optimistin“

Abgründe erlebt: Doch es gibt auch Momente, an die sich Dagmar Lieblová gerne erinnert, so etwa an die mit ihrer Freundin Dascha, mit der sie ein Leben lang befreundet war.

Vöhl. Die Holocaust-Überlebende Dagmar Lieblová berichtete am Sonntagmorgen in der Vöhler Synagoge aus ihrem Leben. Zwei Stunden trug sie Passagen aus ihrer in Buchform erschienenen Biografie vor und beantwortete die Fragen der zahlreichen Besucher. 

Eine kleine rüstige Dame betritt die Bühne der Vöhler Synagoge. Sie wirkt älter, aber sicherlich nicht, als sei sie 87 Jahre alt. Sicherlich nicht, als sei sie durch einen der schlimmsten menschlichen Abgründe gegangen. Dagmar Lieblová, promovierte Germanistin aus Prag, begrüßt die anwesenden Besucher in fließendem Deutsch, nachdem sie zuvor in einem zwölfminütigen Film Einblicke in ihre Lebensgeschichte gegeben hat.

Eine Mischung aus Spannung und Anspannung liegt in der Luft. Jeder weiß, dass er sich in den kommenden 90 Minuten weit außerhalb seiner eigenen Komfortzone bewegen wird. Dennoch ist die Synagoge gut besucht an diesem Sonntagmorgen. Und in dem Raum, in dem am Abend zuvor noch moderner Tango zu hören war, ist Ruhe eingekehrt. Die Tschechin ist eine geübte Sprecherin. In ruhigem Ton beginnt sie, mit Hilfe ihrer geschriebenen Biografie, aus ihrer Vergangenheit zu erzählen.

Kindheit in Kutná Hora

Sie wurde 1929 als Dagmar Fantlová geboren und wuchs in der Kleinstadt Kutná Hora als Tochter eines jüdischen Arztes auf, doch das Judentum spielte nie eine große Rolle. Es war eine glückliche Kindheit, bis im Jahr 1938 die ersten radikalen Veränderungen einsetzten. Das Münchner Abkommen besiegelte das Ende der Tschechischen Republik. Der Vater, ein Patriot, war tief bestürzt. „Ich hatte bis zu jenem Zeitpunkt nicht gewusst, dass Erwachsene auch weinen können“, erinnert sich Dagmar Lieblová mit einem bedauernden Lächeln.

Schmerz und Leid sollte die nächsten Jahre prägen. Immer mehr Verbote wurden erlassen, der Vater durfte nicht praktizieren und sie mussten auf ihren Kleidern einen gelben Stern tragen. Mit der Umsiedlung nach Theresienstadt im Jahr 1942 endete Dagmar Lieblovás Kindheit. Dennoch, so sagt sie heute, war es im Hinblick auf das, was folgen sollte, die schönste Zeit.

Der Weg in die „Hölle“

Dort lernte sie Dascha kennen, eine liebe Freundin, die sie auf dem ganzen Weg durch „Hölle“ begleiten sollte. Keine zwei Jahre später wurde sie mit ihrer Familie nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Schnell hörten sie Gerüchte über die Gaskammern, über einen mysteriöses „SB“ auf ihren Akten, dass für Sonderbehandlung stehe und ihnen nur eine halbjährige Lebensfrist einräumen würde. „Wir hatten nicht mehr viel Zeit“, erklärt die Zeitzeugin nachdenklich.

Doch es kam anders. Durch einen Schreibfehler wurde bei einer Selektion aus ihrem Geburtsjahr 1925 das Jahr 1929. Obwohl die 15-Jährige zu jung war, wurde sie als arbeitsfähig eingestuft und verließ im Frühsommer 1943 „die Hölle“. Ohne ihre Eltern, ohne ihre Schwester, aber mit Dascha, die ihr die Familie fortan ersetzte.

Trümmer räumen in Hamburg

An einem Donnerstag im Juli erreichten sie das Außenlager „Dessauer Ufer“ des KZ Neuengamme. In kommenden Monaten räumten sie Trümmer. „Es war schwer, aber wir hielten es aus. Wir hatten Birkenau überlebt“, sagt Lieblová mit funkelnden Augen. Ihr Weg führte sie weiter nach Bergen-Belsen. Gesundheitlich ging es ihr immer schlechter – als sie am 15. April 1945 befreit wurde, konnte sie nicht einmal mehr aufstehen.

Das Buch ist zugeklappt, die ersten Fragen werden gestellt. Schließlich will jemand wissen, ob ihr der zunehmende Rassismus Sorgen bereite. Dagmar Lieblová hält einen Moment inne und sagt dann mit einem Lächeln: „Wissen Sie, ich bin Optimistin.“

Das Buch „Jemand hat sich verschrieben – und so habe ich überlebt. Die Geschichte der Dagmar Lieblová erzählt von Marek Lauermann“ gibt es für 9,90 Euro im Handel oder in der Synagoge Vöhl.

 
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