Wahre Zahlen noch nicht bekannt
Facetten des Rassismus: Robert Domes las in der Synagoge Vöhl aus seinem Buch „Nebel im August“ vor und sprach über die verschleierten Tötungen der Nationalsozialisten. Foto: Armin Hennig
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VON ARMIN HENNIG

Vöhl - Facetten des Rassismus: Im Rahmen dieser Reihe war Robert Domes nach seiner Lesung in der Korbacher Alten Landesschule (wir berichteten) auch in der Synagoge Vöhl zu Gast. Der Journalist und Autor ließ sich zu Beginn der Lesung aus seinem Roman „Nebel im August“ etwas Zeit und stieg direkt bei fehlerhaften Fakten über die Patientenmorde im Nationalsozialismus ein. Die wahren Zahlen der oft verschleierten Tötungen ließen sich nur anhand von individuellem Aktenstudium ermitteln, eine längst noch nicht abgeschlossene Arbeit.

Viele Jahre habe man sich nur auf die Aussage eines Experten aus den 1950er-Jahren verlassen, der den Anstieg der Sterblichkeit während des Zweiten Weltkriegs im Vergleich zu den Zahlen aus Friedenszeiten gesetzt habe.

Die Auswertungen im Opferbuch eines Angehörigen-Projekts aus Hartheim bei Linz habe aber ergeben, dass jede achte Familie einen Angehörigen im österreichischen Pendant zu Hadamar verloren habe. Mehrere Besucher der Lesung mit totgeschwiegenen Verwandten bestätigten durch ihre Anwesenheit - im Verhältnis zur Besucherzahl - wie durch ihre Aussagen den Eindruck des Autors.

Robert Domes, der inzwischen in Kaufbeuren-Irsee lebt, wo auch die Anstalt ihren Sitz hatte, in der Ernst Lossa zu Tode gebracht wurde, sprach dabei ganz offen darüber, wie er sich in seiner Naivität auf den Vorschlag des Psychiatrie-Reformers Michael von Cranachs einließ, die 20 Seiten der Akte von Ernst Lossa in ein Buch zu verwandeln. „Ich dachte, das ließe sich schnell machen, in einem halben Jahr oder so. Tatsächlich habe ich sechs Jahre gebraucht“, erzählte Domes vom Anfang seines Weges zur Romanbiografie auf Augenhöhe, mit der er der Täterperspektive der Akten entkommen war. Die Suche nach Zeitzeugen und überlebenden Angehörigen war nicht der einzige Grund. Die beiden überlebenden Schwestern seien zwar auf Anhieb freundlich gewesen, aber es habe einige Zeit gedauert, bis er das Vertrauen gewonnen habe. Eher zufällig sei der Jüngeren schließlich entschlüpft, dass ihre Familien zur Volksgruppe der „Jenischen“ gehöre, einer bis heute nicht anerkannten Minderheit, die unter Begriffen wie „Fahrendes Volk“ zusammengefasst wird.

Der Versuch, sich auf institutionellem Wege schlau zu machen, führte zunächst in eine Sackgasse. Der Zentalrat deutscher Sinti und Roma erklärte sich für nicht zuständig, da die Jenischen ethnisch nicht zu ihnen gehören würden.

Dass die Familie Lossa wegen der Tuberkulose Erkrankung von Mutter Anna den gewohnten Lebensrhythmus unterbrechen musste, und im Sommer in Augsburg eine Wohnung mieten musste, geriet zum Anfang der Tragödie. Denn als das Jugendamt feststellte, dass die schwer kranke Frau nicht angemessen für ihre Kinder sorgen konnte, kamen die Kinder in staatliche Fürsorge und von der NS-Bürokratie das Etikett „Zigeuner“ verpasst.

Zu den Facetten des Rassismus gehört sicher nicht nur die Reaktion des juristisch nicht zuständigen Zentralrats der deutschen Sinti und Roma. Die Jenischen sind bis heute keine anerkannte Minderheit mit entsprechenden Rechten.

 
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